«Fast alle Schwerstabhängigen sind psychisch krank»
Herr Niederberger, im Haus Harmonie in Langenbruck leiden fast alle Bewohnerinnen und Bewohner unter psychischen Krankheiten. Manche wurden wohl süchtig, weil sie versucht hatten, sich mit Drogen selbst zu therapieren.
Das deckt sich mit dem, was wir in Zürich beobachten. Wir haben dazu sogar eine Studie* in Auftrag gegeben. Sie ergab, dass 96 Prozent aller befragten Personen in unseren Wohneinrichtungen die Kriterien von mindestens einer psychiatrischen Diagnose erfüllen. Oft weiss man nicht, was zuerst da war: die psychische Krankheit oder die Sucht. Zurzeit wird diese Studie wiederholt. Wir erwarten in Kürze die Ergebnisse.
Gibt es in Zürich so etwas wie ein Altersheim für Drogenabhängige?
Die stationäre Wohnintegration wurde medial als «Junkie-Altersheim» betitelt. Man darf sich darunter jedoch kein klassisches Altersheim vorstellen. Es ist ein Zuhause, in dem sich die Leute vom Gassenstress erholen können. Dealer, Zuhälter oder Freier haben hier keinen Zutritt. Drogenkonsum im eigenen Zimmer ist aber ausdrücklich erlaubt. Natürlich unterstützen wir jeden, der aufhören möchte. Aus der Geschichte von Platzspitz und Letten haben wir aber gelernt, dass es nichts bringt, Abstinenz einzufordern. Wenn wir den Konsum zulassen, können wir immerhin unterstützend eingreifen, auch, wenn es zu einer Krise kommt.
Bekommen Ihre Klientinnen und Klienten denn kein Methadon?
Doch, aber den meisten reicht das nicht. Der klassische Heroin-Junkie von früher ist heute selten geworden. Viele sind polytoxikoman. Sie konsumieren neben dem Methadon auch Kokain, Amphetamine, Psychopharmaka, Schlaf- und Schmerzmittel. Ersatzdroge Nummer eins ist der Alkohol. Manche Frauen prostituieren sich auch im höheren Alter noch, um diesen Beikonsum zu finanzieren.
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