Barfussgehen stärkt die Fussmuskulatur, verbessert das Gleichgewicht und regt die Durchblutung an. Der Barfussweg am Waldrand oberhalb von Wiedlisbach BE führt über Stock und Stein. Er lädt zum Experimentieren ein.
Text: Usch Vollenwyder
Die Schuhe werden ausgezogen und an den Rucksack gehängt. Schon die ersten Schritte auf dem kühlen Waldboden sind für ungeübte Barfussgängerinnen eine Herausforderung. Noch schwieriger wird das Gehen auf den grossen runden Steinen: Die blossen Füsse finden kaum Halt, der ganze Körper wippt hin und her. Die empfindlichen Fusssohlen spüren die kalte Oberfläche und nehmen jede Unebenheit wahr. Die von entrindeten Baumstämmen eingefasste Steinstrecke ist nur etwa drei bis vier Meter lang. Die gegenüberliegende Seite zu erreichen, ist trotzdem ein Balanceakt.
Weitere von Baumstämmen eingerahmte Kasten folgen. Es sind rund zwei Dutzend, die auf dem fünfhundert Meter langen Barfussweg oberhalb von Wiedlisbach BE verteilt sind: Sie sind gefüllt mit Tannzapfen oder Tannnadeln, kleinen und grösseren Ästchen, mit Kies und Schotter, mit Holzschnitzeln oder Sand, mit längs und quer gesägten Baumstämmen.
Unter den Füssen sticht und piekst es, Gelächter und zeitweises Stöhnen sind schon von Weitem zu hören. Nur ein paar Kinder rennen unbeschwert über Stock und Stein. Sie stapfen durch die Pfützen, die sich nach dem letzten Regenwetter gebildet haben, und freuen sich über den feuchtwarmen Schlamm, der zwischen ihren kleinen Zehen aufsteigt.
Freiheit für Füsse
Fachleute sind sich einig: Barfuss gehen ist mehr als nur ein sinnliches Erlebnis. Es regt die Durchblutung an, stärkt die Fussmuskulatur, fördert die Koordination und verbessert das Gleichgewicht. Die Füsse – in der Regel verschnürt in enges Schuhwerk – finden ihre natürliche Stellung wieder. Unterschiedliche Reize wie Druck, Temperatur und Unebenheiten stimulieren die Wahrnehmung zusätzlich und wirken sich positiv auf den ganzen Körper aus. Auf abwechslungsreichen Böden ist der gesundheitsfördernde und wohltuende Effekt am grössten. Zahlreiche entsprechend gestaltete und ausgeschilderte Wegstrecken in der ganzen Schweiz laden zum Barfussgehen ein.
Der Barfussweg in Wiedlisbach, dem 2000-Seelen-Dorf am Jurasüdfuss zwischen Solothurn und Oensingen, ist bereits am Bahnhof ausgeschildert. Blaue Füsschen auf weissem Grund weisen den Weg das Städtchen hinauf zum Waldrand, wo sich der Barfussweg entlang des gelb markierten Wanderwegs hinzieht. Vor vier Jahren wurde er vom Verein Pro Jura Bipperamt mit Unterstützung der Burgergemeinde, des Naturschutzvereins Wiedlisbach und zahlreicher freiwilliger Helferinnen und Helfer gestaltet und der Öffentlichkeit übergeben. Ein Baumtelefon und eine Schaukel, aufgehängt an einem starken Ast über dem Weg, erhöhen seine Attraktivität für Kinder zusätzlich.
Wohltuende Massage
Mit der Zeit gewöhnen sich selbst ungeübte Füsse wenigstens ein bisschen an die verschiedenen Naturmaterialien unter ihren Sohlen. Es gelingt immer besser, sich auf die verschiedenen Unterlagen einzulassen: Die flachen Steine vermitteln das Gefühl einer Fussreflexzonenmassage, die Tannzapfen und Baumstämme schenken eine Gratis-Massage. Eine Herausforderung bleiben die kleinen und grossen Ästchen oder die spitzeren Steine. Der bemooste und weiche Waldboden wiederum ist eine Wohltat für die Füsse.
Der Barfussweg lässt sich je nach Lust und Ausdauer mit einer kurzen oder längeren Wanderung auf dem Sagenweg Bipper-Jura kombinieren. Unterwegs laden Feuerstellen, Ruhebänke, Aussichtspunkte und Bergrestaurants zum Verweilen ein. 46 Tafeln entlang der Route erzählen Sagen aus alten Zeiten und dokumentieren verschiedene Sehenswürdigkeiten. Das Bipperamt, geprägt von landwirtschaftlichen Ebenen und ersten Jurahöhen, ist reich an Zeugen vergangener Zeiten – an archäologischen Fundorten, Jurameer-Versteinerungen oder Gletscherfindlingen.
Der Tag endet mit einem Spaziergang durchs «Städtli» – wie Wiedlisbach von den Ortskundigen genannt wird. Dank seines gut erhaltenen mittelalterlichen Dorfkerns wurde die 2300 Einwohnerinnen und Einwohner zählende Gemeinde im nordöstlichsten Teil des Kantons Bern 1974 mit dem Wakker-Preis und ein Jahr später vom Europarat ausgezeichnet. Vom Hinterstädtli mit seinem Dorfbrunnen und dem Kopfsteinpflaster führt der offizielle Wanderweg hinein ins Gemeindehaus und auf der anderen Seite wieder hinaus Richtung Bahnhof. Mit dem Bipper-Lisi, der meterspurigen Bahn zwischen Solothurn und Niederbipp, ist in wenigen Minuten die Barockstadt Solothurn erreicht.
Gut zu wissen
Die Sagenweg- und Wanderkarte für das Bipperamt, die auch den Barfussweg enthält, kann gratis bestellt werden bei Tourismus Oberaargau, Kirchgasse 3, 3360 Herzogenbuchsee, Telefon 062 923 60 30 oder im Internet myoberaargau.com. Weitere Informationen: pro-jura-bipperamt.ch, barfussschweiz.ch
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