Gorgonzola: Pikant und frei von Laktose
Seit dem Jahr 879 ist ein Käse aktenkundig, der aus einem Städtchen namens Gorgonzola stammt. Und auch so heisst.
Text: Gaby Labhart
Da war also der Bauer in der Lombardei, der – gerade mit der offenbar spätabendlichen Herstellung von Käse beschäftigt – eine Sternschnuppe sah, die ihn alles vergessen liess … Wie auch immer: Am andern Morgen, als er wieder an die Arbeit ging, hatte der Käse Schimmel angesetzt. Da war der Lehrling,
der sich um die Käseherstellung aus der Abendmilch hätte kümmern sollen, aber die Arbeit verliess, weil er ein Stelldichein hatte. Als er am andern Morgen zurückkehrte, hatte der Käse Schimmel angesetzt.
Ja, das gehört vermutlich beides ins Reich der Legenden, aber wenn es einen der berühmtesten italienischen Käse zu feiern gibt, wäre es etwas profan, nur vom Zufall als Erfinder zu reden. Dann doch lieber eine romantische Geschichte, wir sind schliesslich in Italien.
Verwandt ist der Gorgonzola mit dem Roquefort, dem anderen weltberühmten «Edelschimmler», der ebenfalls den Namen seines Ursprungsdorfes trägt. Die typische Marmorierung wird durch eine Impfung (im Fachjargon Pikierung) während des Reifungsprozesses mit einem Schimmelpilz aus der grossen Gruppe der Penicilline ausgelöst. Beide Käse kommen zudem aus Gegenden mit Naturgrotten, wo zufällig (sic!) entdeckt wurde, dass der Schimmelpilz, der sich bei der Lagerung bildete, die Käselaibe nicht verdarb, sondern sie erstens konservierte und zweitens einen ganz speziellen, ausserordentlich würzigen Geschmack erzeugte. Aber es gibt einen ganz grossen Unterschied: Roquefort ist aus Schafsmilch, Gorgonzola aus Kuhmilch.
Ursprünglich nannte man ihn Stracchino di Gorgonzola oder Stracchino verde. Stracchino kommt aus dem lombardischen Dialekt von «stracch», wo «stracch cumè ’n asen» müde wie ein Esel heisst. (Auf Hochitalienisch «stanco come un asino».) Müde war der Blauschimmelkäse, weil er ursprünglich im
Herbst hergestellt wurde, wenn die Kühe müde vom fröhlichen Leben auf der Alp ins Tal zurückkehrten. Schon klar, dass auch in andern Städtchen des norditalienischen Alpengebietes ähnlicher Käse hergestellt wurde, aber Gorgonzola – Marketing avant la lettre – machte den besten Job. Der Blaugeäderte trägt seit 1955 das DOC-Siegel (Denominazione di origine controllata).
Das Penicillium, das dem Gorgonzola seine berühmten grünlichen Streifen verleiht, hat noch eine Eigenschaft, die manche nicht erwarten würde. Die Wissenschafter, die für das «Konsortium für den Schutz des Gorgonzolas» arbeiten, erklären, dass die Schimmelpilze während des Reifeprozesses die Laktose (Milchzucker) zerstören.
Professor Erasmo Neviani: «Der Fettgehalt im Gorgonzola ist nicht viel höher als bei anderen Käsesorten. Dank der dreifachen Fermentation enthält er weder Gluten noch Laktose und ist daher
ein Produkt, das auch für Personen geeignet ist, die allergisch gegen Milchderivate sind. Und er ist reich an Vitamin B2, B6 und B12, die unentbehrlich für unser Nerven- und Immunsystem sind.»
Gorgonzola ist ungeheuer vielseitig, seine fruchtigen, rahmigen, ganz leicht pikanten, dennoch zart-süssen Aromen erfreuen in jeder Form: im Dessert (Cheesecake mit Gorgonzola!), in der Sauce zu den Gnocchi, auf der Pizza, im Risotto. Und nicht vergessen: unbedingt eine Stücklein in die Kürbissuppe geben. Oder mit einer reifen Avocado, Pfeffer, Zitronensaft und etwas Crème fraîche vermischen. Keine Arbeit, grosse Wirkung!