Demenz: Begleitung hilft
Demenz ist eine Diagnose, die viele Lebensbereiche verändert. Nicht nur die Betroffenen, sondern auch ihre Angehörigen sind gefordert und gelangen oft an ihre Grenzen. Fachleute raten, sich frühzeitig Unterstützung und Begleitung zu holen. Zum Beispiel von der «zugehenden Demenzberatung» von Pro Senectute Aargau.
Text: Annegret Honegger
«Du schaust so gut zu mir», sagt Robert Fricker und lächelt seine Frau liebevoll an. Margrit Fricker nimmt seine Hand und drückt sie: «Ja, wir haben es gut zusammen.» Mit am Tisch in der modernen Parterre-Wohnung des Ehepaars in Staufen AG sitzt an diesem Nachmittag auch Susanne Briellmann von der «zugehenden Demenzberatung». Diese Dienstleistung von Pro Senectute Aargau bietet Menschen mit der Diagnose Demenz und ihren Angehörigen unentgeltlich Beratung, Begleitung und Unterstützung an.
Demenz ist der Oberbegriff für mehr als hundert verschiedene Krankheiten, welche die Funktion des Gehirns beeinträchtigen. Meist kommt sie schleichend – so auch bei Robert Fricker. «Manchmal wusste er plötzlich nicht mehr, wo er war. Merkwürdige Episoden häuften sich. Das fiel auch Familie und Freunden auf», erinnert sich Margrit Fricker an ihre anfängliche Verunsicherung.
Offener Umgang mit der Diagnose
Wie viele wollte die 76-Jährige zuerst nicht wahrhaben, dass etwas nicht stimmte. Doch nach der Diagnose beschloss das Paar, offen mit der Krankheit von Robert Fricker umzugehen: «Uns ist wichtig, dass man darüber spricht. Schliesslich kann es alle treffen.» Demenz-Fachfrau Susanne Briellmann unterstützt diese Haltung und wünscht sich, dass unsere Gesellschaft «demenzfreundlicher» würde: «Viele schämen sich, brechen soziale Kontakte ab und versuchen, die ganze Last allein zu tragen.» Das entspreche unserer individualistischen Gesellschaft, führe aber – früher oder später – zu Überforderung und Erschöpfung: «Die Belastung ist auch für die Angehörigen gross, oft über lange Zeit.»
Die Fachfrauen der zugehenden Demenzberatung begleiten ihre Klientinnen und Klienten je nach Situation in kürzeren oder längeren Abständen auf der Beratungsstelle oder bei Hausbesuchen. Gemeinsam mit den betroffenen Paaren oder Familien versuchen sie, den Betreuungsalltag zu vereinfachen und schlagen in den verschiedenen Phasen der Krankheit passende Enlastungsangebote vor.
Schwierige Gefühle und praktische Fragen
Manchmal stehen praktische Fragen wie die Suche nach einer Tagesstätte oder der Antrag auf Hilflosenentschädigung im Vordergrund. Mal geht es um Informationen über das Krankheitsbild Demenz, mal um die Kommunikation mit den Betroffenen, mal um den Umgang mit Aggressionen oder nächtlicher Unruhe. Dann wieder um die schwierigen Gefühle und Entscheidungen, mit denen das Leben mit Demenz einen konfrontiert. Oft ist auch der Kontakt mit Krankenkassen, Ämtern und Ärzten ein Thema. Und die Finanzen: «Die Sorgen ums Geld begleitet viele und ist eine zusätzliche Belastung.»
Beim Anziehen, beim Essen, beim Duschen, beim Überblick über Therapien und Termine – fast beiläufig erwähnt Margrit Fricker, wie sehr ihr Mann auf sie angewiesen ist. Tag und Nacht, rund um die Uhr. Kleinere und grössere Dramen oder unvorhersehbare Reaktionen sind jederzeit möglich. Eigentlich einfache Dinge wie Zähneputzen können rasch kompliziert werden. Aber vergangenen Zeiten nachtrauern will Margrit Fricker nicht: «Wir schauen vorwärts und nehmen es Schritt für Schritt, Tag für Tag.»
Angehörige als Expertinnen und Experten
«Familienmitglieder sind meist Experten im Umgang mit ihren demenzbetroffenen Angehörigen. Umso wichtiger ist es, dass man sie in ihrer Arbeit entlastet», sagt Susanne Briellmann eindringlich. Sie rät, sich möglichst bald nach der Diagnose zu informieren, wo und in welchen Bereichen Unterstützung möglich ist. Wer zu lange warte, habe oft kaum mehr die Kraft dazu: «Wir würden uns wünschen, dass sich die betroffenen Familien früher bei uns melden.»
Denn eine Demenz stelle vieles in Frage, was vorher selbstverständlich war. Die Krankheit verändere das Wesen der Betroffenen und damit auch die Beziehung und die Rollen in Ehe und Familie. Trotzdem betont die Fachfrau: «Eine Demenz-Diagnose ist für viele ein Schreckgespenst. Aber mit der nötigen Unterstützung sind Lebensqualität und Lebensfreude nach wie vor möglich.»
Wertvolle Vernetzung
Dass Robert und Margrit Fricker in Familie und Nachbarschaft gut vernetzt sind und Hilfe annehmen können, sei sehr wertvoll, sagt Susanne Briellmann. Ebenso dass Robert Fricker sein freundliches Wesen beibehalten und sich gut eingelebt hat in der Tagesstätte, die er zwei Tage in der Woche besucht. Margrit Fricker tauscht sich monatlich in einer Angehörigengruppe aus. Das gibt beiden Abwechslung und Kraft für ihren Alltag, der mit dem Fortschreiten der Krankheit ständig neue Herausforderungen bringt. Demnächst wollen die beiden einmal das «Alz-Café» in Aarau besuchen. Oder vielleicht wären begleitete Alzheimer-Ferien eine Idee, wie Susanne Briellmann vorschlägt.
55 Jahre sind Margrit und Robert Fricker bereits verheiratet. Gute Zeiten seien das gewesen – und so gut wie möglich soll es auch weitergehen. Das Paar geht wie gewohnt spazieren, macht Ausflüge und gemeinsam den Haushalt, lädt Freunde ein, «selbst wenn manche erschrecken, wie sehr sich Robert verändert hat». Margrit Fricker bezieht ihren Mann in die Hausarbeit ein und achtet darauf, dass er beschäftigt ist. So seien auch die Nächte ruhiger. «Bei mir muss immer etwas laufen», bestätigt Robert Fricker, dessen Hände ein Leben lang kaum geruht haben. Dann nimmt er wieder die Hand seiner Frau in die seine, lächelt sie an und sagt: «Du schaust so gut zu mir.»
«Zugehende Demenzberatung» von Pro Senectute Aargau
An Demenz erkrankte Personen und ihre Angehörigen sind im Laufe der Erkrankung zunehmend auf Hilfe angewiesen. Sie und ihr Umfeld sind mit Fragen, Unsicherheiten und Ängsten konfrontiert. Im Kanton Aargau bieten die Fachpersonen der zugehenden Demenzberatung Susanne Briellmann und Regina Meier-Krebs unentgeltlich längerfristige und regelmässige, auf die Situation abgestimmte Unterstützung und Begleitung an. Sie informieren auch über Angebote von Alzheimer Aargau wie z.B. Angehörigengruppen, Gesprächsgruppen für Betroffene oder das alz-Café. Mit Alzheimer Aargau besteht eine enge Zusammenarbeit. Auskünfte: Pro Senectute Aargau, Telefon 062 837 50 70, ag.prosenectute.ch (Stichwort Beratung).
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