Über 75 – und Jungautor
Regelmässig erreichen uns Geschichten, Texte und Zuschriften unserer Leserinnen und Leser. Diese wollen wir Ihnen nicht vorenthalten. Heute: Der Weg zum erfolgreichen Buch von Hans Joachim Laue.
Sehr geehrte Damen und Herren der Redaktion
Über ein Jahr lang versuchte ich 2017/2018 für mein erstes Buchmanuskript einen Verlag zu finden. Vergebens. Bis mir ein Lektor empfahl, Selfpublisher zu werden. Schliesslich kann ich mein unbekanntes «Verfalldatum» nicht verlängern. Jetzt bin ich über 78. Im Februar 2022 kam mein achtes Buch heraus.
Unter Titel «Über 75 – und Jungautor?» habe ich einen Beitrag verfasst, der sich meines Erachtens für die Leserinnen und Leser ihrer Zeitschrift eignen könnte. (Zu den Lesern und Abonnenten gehöre auch ich.)
Jetzt schon besten Dank.
Freundlich grüsst Sie,
Hans Joachim Laue
Jedes neue Buch ist wie die Geburt eines Babys. Man freut sich ungemein und ist stolz wie ein junger Vater. Wer hätte das gedacht: Das Erstgeborene erblickte im Dezember 2018 das Licht der Welt, nun bereits das achte Werk im Februar 2022. Da vermutet man Vitalität in der zweiten Hälfte der 70er-Lebensjahre. Natürlich, im Schreiben bin ich vorbelastet. Erst waren es Betriebsanleitungen, dann Werbe- und PR-Texte. Dann kam der Fachjournalismus hinzu.
Neu erfinden – oder was?
Letzteres rund ein Vierteljahrhundert lang – davon die längste Zeit als Freischaffender. Achtstundentage, Fünftagewochen oder gar bezahlter Urlaub – das war eher etwas Fremdes. Das heisst auch immer wieder Existenzängste. Zudem acht Jahre übers 65. hinaus in die Rentenkasse eingezahlt. Mehr oder weniger von einem Tag auf den anderen aufgehört. Weil es kaum noch Aufträge gab. Immerhin habe ich jetzt eine Rente, somit eine viele Jahre unbekannte Sicherheit.
Mit diesem kleinen Rucksack auf dem Rücken glaubte ich mich neu erfinden zu müssen. Ich kam aber schnell zu der Erkenntnis, dass Schreiben zu meinem Lebensinhalt gehört. Noch andere Werke des Prosagenres auszuprobieren, wenigstens ein Buch zustande bringen, das lag irgendwie in der Luft. Ein Traum wohl eines jeden Journalisten. In meinem Archiv befanden sich noch einige Schreibversuche aus jüngeren Jahren: ein Bühnenstück, ein Hörspiel, eine Gedichtsammlung und verschiedene Erzählungen, inklusive eines Kurzkrimis. Alles unvollendet und unausgegoren. Aber war das genug, um im vorgerückten Alter in die Schriftstellerei zu starten?
Vier Pfoten in Prosa
Versuch es doch mal am Anfang mit Tiergeschichten, dachte ich mir. Die richtige Sprache finden, unterhaltsam und locker schreiben. Unter den Tierfreunden wird es bestimmt reichlich Lesehungrige geben – und den Verlag gleich dazu. Erlebnisse hatte ich im Laufe eines halben Jahrhunderts genügend gesammelt, sei es mit Kaninchen und Katzen, gar mit Islandpferden, vor allem aber mit Hunden. Sich daran zu erinnern, einige Episoden aufzugreifen, spannend und mit Überraschungen aufs Papier zu bringen, damit 8- bis 98-Jährige ein Lesevergnügen haben, das war so meine Vorstellung.
Über Kaninchen und Katzen hatte ich früher bereits ein paar Stories publizieren können, über Hunde nur eine. Also lag die Herausforderung greifbar nahe. Ich konzentrierte mich auf Eigenwilligkeiten der Vierbeiner, nicht auf Rassestandards. Es sollte kein Ratgeber werden, sondern etwas Unterhaltsames, zum Beispiel:
- Wie ein Belgischer Schäferhund zum Auslöser für meine kurzzeitige russische Gefangenschaft wurde
- Ein Bouvier aus dem Tierheim, der es nicht lassen konnte, vollschlanke Frauen zu «bejuckeln»
- Als ich eines Morgens statt einer Katze auf dem Blechdach einen Gordon Setter entdeckte
- Ein Border-Collie-Mischling, der immer wieder damit überraschte, dass er wie ein Engländer rechts überholte
Tatsächlich schaffte ich fünfzig Erlebnisgeschichten mit eigenen und fremden Rasse- und Mischlingshunden niederzuschreiben. Es war flüssig zum Lesen und Vorlesen. Alles erlebte Alleinstellungsmerkmale. Von meinen, meiner Ansicht nach, sehr gelungenen Erzählungen war ich unheimlich euphorisiert. Da müssten sich die Verlage doch regelrecht drum reissen, das Manuskript mit dem Titel «Nach Art des Hundes. Geschichten über Vier- und Zweibeiner» in ihr Programm aufzunehmen.
Wie eingangs angedeutet, «tingelte» ich mehr als ein Jahr auf dem Korrespondenzweg von Verlag zu Verlag in der Schweiz und in Deutschland. Die Mehrheit hüllte sich in Schweigen; eine Lektorin, ein Verleger und ein Lektor reagierten immerhin sehr individuell. Den Rat des Lektors, mein Buch selbst zu verlegen, befolgte ich letzten Endes, um nicht noch mehr Zeit ins Land streichen zu lassen. Meine erhöhte Erwartung bei dem 172-seitigen Taschenbuch erfüllte sich nicht. Lediglich eine selbst angeregte Buchlesung in einem Pflegeheim bescherte Dank und warme Worte.
Einmal ist keinmal
Also legte ich mit zwei weiteren Taschenbuch-Produktionen im Selfpublishing-Verlag nach. Ganz nach dem alten Motto: einmal Sex ist keinmal. So unterzog ich die alten Archiv-Schätze der Überarbeitung und ergänzte mit neuen Texten, so dass ich 2019 mit dem Titel «Niemandsland» eine 96-seitige Sammlung mit einem Theaterstück, einem Hörspiel und mehreren Gedichten herausbringen konnte.
Noch im selben Jahr, ebenfalls mit 96 Seiten Umfang, kam das Taschenbuch «Der sechste Mann» mit Erzählungen und Essays heraus. Darin ist der Bogen heiter und ernst gespannt über Weisses Gold, Knete, Kinder, Katzen, Kranke, Klima, Kriminelles, Schätze, Schmutzfinken, Schlafstörungen und Sprache sowie über Briefe und Bücher.
Beide Bände blieben ebenfalls unter dem Radar der Auflage-Hoffnungen. Die Exemplare für den «Eigenbedarf» haben sich dann hin und wieder als privates Geschenk, als Mitbringsel angeboten. Eine Enttäuschung zwar, trotzdem eine wertvolle Erfahrung. Im Alter ist etwas mit grosser Freude entstanden, was im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek registriert ist. Vielleicht gar ein privilegierter Ausweis, dass man einmal zu den Lebenden gehörte?
Zeit ohne Selfies
Also kein Grund, die Schriftstellerei aufzugeben. Mein viertes Buch «Anstatt Selfies» im Umfang von 204 Seiten brachte ich 2020 heraus. Darin erzähle ich kurzweilig von zufälligen, persönlichen Begegnungen mit deutschen Bundespolitikern und schweizerischen Bundesräten. Und zwar aus einer Zeit, als es noch keine Smartphones gab. Im englischen Sprachraum ist das Wort Selfie erst anfangs der 2000er-Jahre aufgetaucht, im deutschen erst zehn Jahre später. Im Weiteren berichte ich aus der Nachkriegszeit von kuriosen, indirekten Konfrontationen mit einem Kaiser, einem Präsidenten und zwei Diktatoren.
Damit sich auch jüngeren Leserinnen und Lesern der Inhalt erschliesst, sind in einem ausführlichen Glossar Politikernamen erläutert, die in heutiger Zeit nicht mehr so bekannt sind, ebenso Begriffe aus vergangenen Jahrzehnten. Der Publikation eilt der Spruch von Christian Morgenstern (1871-1914) voraus: «Es war einmal ein Lattenzaun, mit Zwischenraum, hindurchzuschauen».
Auch dieses Buch war nicht so der Hammer, es sind aber ein paar Exemplare mehr verkauft worden als bei den ersten drei Veröffentlichungen. Dabei sind die geschilderten Erinnerungen mit Glossar und Quellen z. B. für Maturanden geeignet, die sich in Zeitgeschichte weiterbilden wollen oder müssen und sich auf entsprechende Prüfungen vorbereiten.
Schuster bleib bei deinem Leisten?
Apropos Geschichte. Schon in den Jahren als Fachjournalist sammelte ich Informationen über historische Ereignisse, die im Zusammenhang mit der Weiterverarbeitung von Drucken zu Broschüren, Büchern, Zeitschriften und Zeitungen standen. Denn nach Gutenbergs Erfindung blieb die Entwicklung nicht stehen. Einher ging damit generell die Alphabetisierung. Die Buchherstellung beschränkte sich nicht mehr aufs Reproduzieren durch Abschreiben, mit der Folge, dass Skriptoren ihre Jobs verloren. Später war davon das Gros der Handbuchbinder betroffen, als die Industrialisierung einsetzte.
Insofern übte die Kultur- und Technikgeschichte der Fertigung und des Vertriebs von Büchern und Broschüren einen unwiderstehlichen Reiz auf mich aus. Die letzten 500 Jahre nach Kalendertagen zu erfassen (soweit bekannt), stellte eine Herausforderung dar, die so bisher wohl noch nicht angenommen worden war. Erstmals konnte ich 2012 im «Bindereport» (125. Jahrgang) in beinahe jeder Monatsausgabe unter Jubiläums-Tagesdaten über Historisches berichten. Dies brachte mich dazu, ein fünfbändiges Nachschlagewerk (für jedes Jahrhundert ein separater Band) der Erinnerungen an Verleger und Autoren sowie Buchbinder, Drucker und Erfinder in Handwerk und Industrie, ebenfalls im Selfpublishing herauszubringen. Letztes Jahr sind die ersten drei Bände fertig geworden, also 16., 17. und 18. Jahrhundert. Das 19. Jahrhundert im 4. Band war im Februar 2022 vollbracht, umfangreicher als die drei ersten Bände zusammen. Mit der Fertigstellung des 20. Jahrhunderts im 5. Band rechne ich nicht vor 2023.
Der vierte Band der Reihe «Tagebuch der Buchbinderei und Druckweiterverarbeitung», der das 19. Jahrhundert behandelt, ist erschienen. Auch in diesem Band wird an Personen, Patente, Produkte, Bücher und Verlage erinnert, welche die Kultur- und Technikgeschichte beeinflusst haben.
«Tagebuch der Buchbinderei und Druckweiterverarbeitung» von Hans Joachim Laue, CHF 39,50 bei bod.ch
Soll ich Ihnen etwas verraten? Das Recherchieren, Texten und die Bildsuche waren nicht immer einfach, haben mir aber wahnsinnig viel Spass gemacht. Wenngleich ich die «Schreibversuche» der Erzählungen über Tiere und Menschen, Stücke und Lyrik nicht missen möchte sie und jetzt als Weiterbildungsprozess betrachte, liegen mir die Kultur- und Technikgeschichten in journalistisch-redaktioneller Aufbereitung wesentlich mehr.
Die bisherigen Buchbestellungen dazu laufen eindeutig besser, dank veröffentlichter Presseinformationen in den einschlägigen Fachmagazinen. Auch Blog-Beiträge beim weltbekannten Schweizer Unternehmen für Druckweiterverarbeitungsmaschinen, Müller Martini, haben zweifellos für Aufmerksamkeit gesorgt. Als ehemaliger freier Fachjournalist in der Branche, so meine Annahme, bin ich anscheinend doch nicht ganz unbekannt. Diese Tagebücher werden sicherlich keine Sachbuch-Bestseller werden, aber immerhin. Für den Erfolg meiner Unterhaltungsbücher hätte ich erst einmal ein entsprechendes Netzwerk aufbauen müssen. Aber eben, über 75 und Jungautor! Da fehlt einschlägige Kenntnis. Wie schon der römische Historiker und Anekdotenerzähler Plinius der Ältere (23 bis 79 n. Chr.) meinte: Schuster, bleib bei deinem Leisten!
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