«Christmas in Vienna» 28. Dezember 2020
Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder (69) erzählt seit Beginn der Corona-Krise jede Woche aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von Wien und einem Konzertausschnitt mit prophetischen Neujahrswünschen.
Vor vier Jahren verbrachten wir unsere Dezember-Ferienwoche in Wien. Die ganze Stadt stand im Zeichen von Weihnachten – Weihnachtsbäume, Weihnachtsmärkte, Weihnachtsbeleuchtung, Weihnachtskonzerte… Wir trafen unsere Musiker-Freunde Geert und Catharina, Mitglieder des ORF Radio Symphonieorchesters. Er ist Holländer, sie Schwedin, in der Musikhauptstadt Wien kamen sie zusammen. Dank ihnen konnten wir die Hauptprobe ihres jährlichen Konzerts «Christmas in Vienna» besuchen, das jeweils über die Festtage von den verschiedensten deutschsprachigen Fernsehsendern ausgestrahlt wird. Dieser Musikgenuss war der Höhepunkt unserer damaligen Ferienwoche.
Als wir dieses Jahr am späten Heiligabend durch das Fernsehprogramm zappen, erscheint plötzlich ein bekanntes Bild: Das üppig geschmückte Konzerthaus Wien, auf der Bühne rocken temperamentvoll Orchester, Chor, die Solisten und die Wienersängerknaben «Feliz Navidad», und selbst der Dirigent scheint am Dirigierpult zu tanzen. Eine fröhliche Weihnachtsstimmung, die ganz feierlich wird, als Händels Halleluja erklingt. Nur noch zwanzig Minuten dauert das Konzert, wir bleiben sitzen, sehen Geert direkt hinter der Sopranistin die Geige spielen und suchen im grossen Orchester nach Catharina mit ihrer Bratsche.
Catharina hat mir geschrieben, dass im Corona-Jahr kein «Christmas in Vienna» stattfinden werde – wir sind zufälligerweise auf die letztjährige Aufzeichnung gestossen. Dicht an dicht stehen die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne, nah zusammen sitzt das Orchester. Der Saal und die Galerien sind bis auf den letzten Platz von einem begeisterten Publikum besetzt. Plötzlich überkommt mich Sehnsucht – Sehnsucht nach dem ganz normalen Leben, das Nähe zulässt: Ich werde mir nicht mehr wie früher ärgerlich Platz schaffen, wenn ich im Chor den Ellbogen meiner Singnachbarin an meinem Oberarm spüre, das Notenheft des Sängers hinter mir im Rücken fühle oder in einem Konzert die Sessellehne mit dem Sitznachbarn teilen muss.
Vor dem letzten Lied – dem traditionellen «Stille Nacht» – wünscht die österreichische Sopranistin allen Anwesenden ein wunderschönes Weihnachtsfest. «A very very Merry Christmas» und ganz besonders ein glückliches und gesundes neues Jahr, wünscht der deutsch-kanadische Tenor. Schliesslich nimmt auch Dirigent Sascha Goetzel das Mikrofon in die Hand: «… ein frohes, ein glückliches, und vor allem ein zufriedenes, friedvolles, gemeinsames neues Jahr.» Die Betonung legt er auf «gemeinsam» – ohne zu wissen, welche Bedeutung Solidarität, Zusammenhalt und Gemeinsamkeit im neuen Jahr bekommen würden.
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