Kinderfragen 26. April 2021
Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder (69) erzählt seit Beginn der Corona-Krise jede Woche aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: vom Bantiger, dem Münster und der Frage nach Gott.
In den Schulferien machen wir mit der Kleinen jeweils einen Ausflug. Die verschiedenen Dino-Parks und -Ausstellungen sind bereits abgehakt. Wir einigen wir uns auf das Sensorium im Rüttihubelbad – «Erfahrungsfeld für die Sinne», wie es im Internet heisst. Wegen Corona ist die Zahl der Besuchenden beschränkt. Wir mussten uns anmelden und bekamen ein Zeitfenster zugeteilt. Beizeiten fahren wir los Richtung Emmental. Während der Autofahrt haben wir den Bantiger vor Augen, meinen Kinderberg. Ich erzähle der Kleinen, wie manchen Sonntag ich mit ihrem Urgrossätte und der Urgrossmama dort hinaufspazieren musste.
Ob der Turm so hoch sei wie das Münster in Bern, will sie wissen. «Der Sendemast schon», antworte ich, «aber nicht die Plattform für Besucherinnen». Welches Haus denn grösser sei, ist die nächste Frage. Ich erzähle vom ungeschriebenen Berner Gesetz, wonach kein Bauwerk höher als das Münster sein dürfe. «Warum nicht?» fragt sie. Ich bemühe mich um eine kindgerechte Antwort: «Für die Menschen von früher war Gott das höchste Wesen. Deshalb musste auch die Kirche das höchste und schönste Gebäude in der Stadt sein.»
Eine Zeitlang ist es still auf dem Hintersitz. Dann kommt die Frage: «Grosi, glaubst du an Gott?» Ich fühle mich überrumpelt. Was soll ich nur sagen? Schliesslich formuliere ich eine Antwort, die sie hoffentlich zufrieden stellt: «Ich glaube schon, dass es etwas gibt, das uns begleitet und gernhat. So fest wie Mama und Papa, und auch dann noch, wenn Mama und Papa nicht mehr da sind.» Wieder Stille. Schliesslich sagt sie überzeugt: «Ich glaube lieber an den Urknall, und dass Lebewesen aus dem Wasser gekommen sind, und sich dann die Dinosaurier entwickelt haben».
Jetzt hake ich nach: Wie denn der Urknall entstanden sei? Darüber würden nämlich seit langem viele gescheite Leute nachdenken und kämen zu keiner Antwort. Im Rückspiegel sehe ich, wie die Kleine angestrengt nachdenkt. Dann argumentiert sie: «Vorher war nichts. Und nichts ist nichts, also auch kein Gott.» Jetzt bin ich wieder an der Reihe: «Und wie hat es aus dem Nichts den Urknall gegeben?» Sie grübelt weiter, ich grüble mit. Wir kommen auf keinen grünen Zweig – genauso wenig wie all die Wissenschaftlerinnen und Theologen und die vielen Menschen, die seit jeher nach Ursprung und Ziel des Daseins fragen.
Nach einer dreiviertel Stunde kommen wir beim Sensorium an. Wir tauchen ein in die Welt der Sinne, lassen uns verzaubern von Düften und Tönen, horchen den Schwingungen von Gong und Harfe nach, laufen blindlings über den Barfusspfad, amüsieren uns im Spiegelkabinett, experimentieren mit optischen Phänomenen und wagen sogar den Gang durch die Dunkelkammer. Wir sind umgeben von Wundern und Geheimnissen und ich denke, wie sehr sich doch das theoretische Geplänkel über Gott erübrigt.