Kinderglaube und Katzengeduld 8. Februar 2021
Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder (69) erzählt seit Beginn der Corona-Krise jede Woche aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von zwei- und vierbeinigen Mäusejägerinnen.
Die Kleine und ich sitzen auf dem Sofa vor dem Fernseher und schauen Räuber Hotzenplotz. Plötzlich poltert es im Badezimmer, man hört ein Plumpsen und ein langgezogenes Mauen: Die Katze ist vom offenen Dachfenster auf den Waschtisch und von dort aus auf den Boden gesprungen. Nun stolziert sie mit einer Maus in der Schnauze an uns vorbei durch die Stube. Die Kleine springt auf und rennt der Katze nach. Die Maus muss gerettet werden!
Die Katze lässt die Maus fallen, die sich in Windeseile davon macht. Die Kleine sperrt den Stubentiger auf die Terrasse, leert einen Papierkorb und macht sich damit auf Mäusepirsch. Doch in unserem alten Haus hat es tausend Ritzen, in denen sich eine Maus verkriechen kann. Die Kleine sucht überall, bereit, den Papierkorb über das Tierchen zu stülpen, sobald es sich blicken lässt. Dazu schimpft sie über die fiese Katze – schon gestern habe sie die gleiche Maus vor ihr gerettet. Ob sie ganz sicher sei, frage ich. «Ja», sagt sie, «ich kenne sie an den Öhrchen, an den schwarzen Augen und sowieso am Schwanz.»
Die Maus bleibt unauffindbar. Sie kommt auch nicht zum Vorschein, als es für die Kleine Zeit fürs Bett wird, weil am nächsten Tag Schule ist. Ich verspreche, ein Auge auf das Mäuschen zu haben, falls es sich zeigen würde. Grosätte, der Mäuseangsthase, ist dabei keine Hilfe. Am nächsten Morgen sitzt die Katze vor dem Gästebett – seit Corona ein überflüssiges Möbelstück – und blickt gebannt darunter. Ihre Schwanzspitze zittert leicht, sie muss die Maus ausgemacht haben. Auch als ich ihr Futter parat mache, bleibt sie hartnäckig vor dem Bett sitzen. Von nichts und niemandem lässt sie sich ablenken.
Die Katze sitzt immer noch an der gleichen Stelle, als die Kleine von der Schule heimkommt. Das Spiel vom Vortag wiederholt sich: Die Katze wird auf die Terrasse gesperrt und der Papierkorb geholt. Langsam bewege ich das Bett von der Wand weg. Dahinter sitzt das Mäuschen, ziemlich erschöpft schaut es die Kleine mit seinen Knopfaugen an und lässt sich problemlos in den Papierkorb bugsieren. «Du dumme Maus, ein drittes Mal darfst du dich nicht mehr erwischen lassen», beschwört die Kleine das Pelztierchen, während sie es zuhinterst in der Schafweide aus dem Papierkorb in die Freiheit entlässt.
Mich rührt die Standhaftigkeit der Kleinen und ich bewundere die Hartnäckigkeit der Katze. Ein bisschen wehmütig stelle ich fest, dass mir mit den Jahren immer mehr von beidem abhandengekommen ist.