Kleine Wunder 1. Februar 2021
Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder (69) erzählt seit Beginn der Corona-Krise jede Woche aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von fröhlichen Vierbeinern und aufkommendem Regenwetter.
Am Mittwoch ist Hundeschule. Zwar nur noch zu fünft – die Vierbeiner nicht mitgezählt – und erst nach Intervention der Verantwortlichen beim Bundesamt für Veterinärwesen: Die neusten Corona-Massnahmen hatten vorgesehen, dass Hundekurse auf die Liste der verbotenen Aktivitäten kommen sollten. Treffpunkt ist eine Blockhütte am Waldrand, hinauf Richtung Längenberg. Grosse Flocken fallen vom Himmel, die Tannen tragen weisse Kappen, das Unterholz liegt begraben unter dem vielen Weiss, der Schnee knirscht unter den Schuhen. Die Hunde sind ganz aufgedreht vor Freude.
Ein älteres Paar bleibt stehen und schaut zu, wie sich unser Hund und sein Kumpan Tulo im Schnee überschlagen, wie sie losrennen und dabei einander in die Seite stupsen, wie sie sich wild übereinander wälzen. «So lustig, den fröhlichen Vierbeinern im Schnee zuzuschauen», meint die Frau. «Ja, und morgen beginnt die Regenzeit», antworte ich trübsinnig. Die Frau schaut mich an: «Aber jetzt hatten wir doch so viele schöne Tage!»
Als ich durch das Schneetreiben vorsichtig heimwärts fahre, hänge ich ihren Worten nach. Eigentlich hat sie recht, denke ich. Ich habe in den letzten Tagen viel Schönes erlebt, draussen und drinnen. Ich bin der jährlichen Wanderherde begegnet und habe fasziniert den Hirtenhunden zugeschaut, wie sie die vielen hundert Schafe zusammengehalten haben. Ich sah einen Schwarm von Bergfinken, die mit gewaltigem Brausen über mich hinwegflogen und sich hundertausendfach zwitschernd im Wald niederliessen. Ich freute mich, dass das Zwergenhäuschen aus Holzrinde und kleinen Ästen, das die Kleine mit ihrem Papa während der Adventszeit für die kleinen Wichte gebaut hatte, immer noch am Wegrand steht.
Mein Mann macht extra einen elsässischen Flammkuchen, weil ich den lieber mag als die italienische Pizza. Meine langjährige Freundin auf der kleinen Insel im Indischen Ozean hat ein langes Mail geschrieben. Am späteren Nachmittag kommt die Kleine hoch. Sie kuschelt sich auf dem Sofa in die weiche Plätzchendecke, die noch ihre Urgrossmama gestrickt hat, und legt ihre Füsse auf meinen Schoss. Gekonnt bedient sie den Fernseher, sucht unter den Filmaufnahmen Räuber Hotzenplotz und spult vor- und rückwärts zu den ihr wichtigen Stellen mit dem Zauberer Petrosilius Zwackelmann. Ich kraule ihre Füsse in den farbigen Ringelsocken, die meine frühere Arbeitsfreundin gestrickt hat und frage mich, wieso ich einen Gedanken an den aufkommenden Regen verschwende.
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