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Oppenheimer 14. August 2023

Die langjährige Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder erzählt alle zwei Wochen aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: vom bedrückenden Film über den «Vater der Atombombe».

Usch Vollenwyder
© Jessica Prinz

Das geheime Forschungslabor steht in Los Alamos, einem kargen Hochplateau in der Wüste von New Mexiko. Dort arbeitet der amerikanische Physiker Robert Oppenheimer am Manhattan-Projekt: In nur drei Jahren entwickelt und baut er mit den besten Wissenschaftlern der Welt die Atombombe. Es ist Nacht in Los Alamos, als sie am 16. Juli 1945 um 5.29 Uhr unter dem Decknamen «Trinity» getestet wird. Für die Forscher ist es ein voller Erfolg: Der Lichtblitz, das Donnergrollen, der Feuerball, der Atompilz … Sie flimmern über die Kino-Leinwand. Ich sinke im roten Fauteuil zusammen. Das Glas Rotwein auf der Ablage vor mir schmeckt nicht mehr.

Nur drei Wochen später – Deutschland hatte längst kapituliert – fiel die erste Atombombe auf Hiroshima, drei Tage später auf Nagasaki. Der amerikanische Präsident Harry Truman übernahm als oberster Befehlshaber der Armee die Verantwortung. 110’000 Menschen starben sofort, noch einmal so viele an den Folgen der Strahlenkrankheit. Fähnchen schwenkende, frenetisch jubelnde Menschen füllen die Leinwand aus. Und ein zweifelnder Oppenheimer, der von sich selber sagt: «Ich bin der Tod geworden.» Doch seine Meinung ist nicht mehr gefragt. Ein hoher Offizier meint lakonisch: «Bei allem Respekt, Dr. Oppenheimer, aber ab jetzt übernehmen wir.» 

Ich erinnere mich an meine kindliche Angst vor der Atombombe. Eine meiner ersten Erinnerungen: Ich sitze mit meinen geliebten Grosseltern auf dem «Fürabebänkli» vor dem Haus. Sie lassen sich über die Thuja Hecke auf der gegenüberliegenden Strassenseite aus. Unregelmässig ist sie gewachsen, einzelne Zweige ragen in die Höhe. Meine Grossmutter sagt: «Das ist sicher wegen dieser Atombombe.» Ich hatte keine Ahnung, wovon sie sprach und was sie meinte – aber es musste etwas ganz Schreckliches sein. Ihrer Meinung nach trug die «Bombe» Schuld an allem, was sich zum Unguten wendete. 

Im Fernsehen waren in Schwarzweiss Atompilze zu sehen, der Name einer entlegenen Insel – «Bikini-Atoll» – gehörte plötzlich zum Allgemeinwissen. Neue Begriffe prägten die Nachrichten meiner Kinder- und Jugendzeit: «Nukleare Massenvernichtungswaffen», «atomare Aufrüstung», «Gleichgewicht des Schreckens» oder «Rüstungswettlauf». Zum ersten Mal hörte ich das Wort «Overkill»: Mit dem vorhandenen Atomwaffenarsenal lässt sich die ganze Menschheit gleich mehrfach ausradieren. Das wussten auch die Wissenschaftler um Robert Oppenheimer, dessen Leben der britisch-amerikanische Regisseur Christopher Nolan unter dem Titel «Oppenheimer» verfilmt hat. 

Erschüttert verlasse ich das Kino. Mit der Erfindung der Atombombe hatte sich die Welt für immer verändert. Mehrmals stand sie schon am Abgrund, bis jetzt hatte sie immer einen Schutzengel – wie zum Beispiel am 26. September 1983, mitten in einer heissen Phase des Kalten Krieges: Der russische Oberstleutnant Stanislaw Petrow negierte den mehrfach ausgelösten Alarm, der den Angriff von US-Nuklearbomben meldete, und bewahrte damit die Menschheit vor einem Atomkrieg. 

Ich möchte der Welt noch ganz viele Schutzengel wünschen. Manchmal bin ich mir nur nicht sicher, ob diese nicht langsam müde werden und die Geduld mit uns Menschen verlieren. 

Der Film «Oppenheimer» läuft zurzeit in den Schweizer Kinos.


  • Erinnern Sie sich noch an die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki? Welche Gefühle steigen in Ihnen auf, wenn Sie daran denken? Wir würden uns freuen, wenn Sie uns davon erzählen oder die Kolumne mit anderen teilen würden. Herzlichen Dank im Voraus.
  • Hier lesen Sie weitere «Uschs Notizen»

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Beitrag vom 14.08.2023

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