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Von wegen Stille Nacht!

Weihnachten, so schön, wie es früher einmal war? Wir sind uns da nicht ganz sicher. Die Zeitlupe-Redaktion erinnert sich an Klassiker und Kuriositäten der Weihnachtszeit. Jessica Prinz freute sich immer auf ihr Grosi. Mit ihr kam die Ruhe.

Jessica Prinz, Multimedia-Journalistin

Text: Jessica Prinz

Das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, ist eines der klischierten Bergdörfer, von denen es in der Schweiz so einige gibt. Man fährt nicht zufällig daran vorbei, sondern nur gezielt dahin. Es gibt nur 700 Einwohnerinnen und Einwohner (Tendenz sinkend), mehr als 2000 Gästebetten (Tendenz steigend), Familienfehden vom Feinsten. Und man kennt dort nur zwei Jahreszeiten: Winter und Frühling.

32 der über 2000 Gästebetten meines Heimatdorfes befinden sich in meinem Elternhaus. Im Winter werden diese an Skifahrer vermietet, in den wärmeren Monaten an Wanderer. Sobald der erste Schnee fällt, so kommt es mir jeweils vor, steht das Haus nicht mehr still. Auch nicht – oder schon gar nicht – in der stillen Nacht. Unser Weihnachtsfest beinhaltete jährlich Weihnachtskarten mit Weihnachtsmotiven zu basteln, sie mit Weihnachtssprüchen zu füllen, mit Weihnachtsschleifen zu verzieren und sie an Weinflaschen zu hängen. In guten Jahren, wenn wir besonders fleissig waren, gab es sogar Weihnachtsguetsli dazu. Natürlich selbst gemacht! Damit gingen wir von Ferienwohnungstür zu Ferienwohnungstür, wünschten den fremden und doch so bekannten Gesichtern, die jedes Jahr wiederkamen, «frohe Weihnachten!». Manchmal trank Mama dann ein Glas Wein, manchmal bekamen meine Schwester und ich ein Geschenk. Weihnachten, das war viel Arbeit.

In den Jahren als Kind und Jugendliche war ich wenig begeistert von den vielen Lichtern, den Düften und dem omnipräsenten Glitzer. Viel mehr freute ich mich immer auf den Moment, in dem alle Gäste das Haus verliessen, sich in den verschiedenen Restaurants des Dorfes verteilten – und doch noch ein wenig Ruhe einkehrte. Ich freute mich auf unser jährliches Ritual: Am Abend holten wir meine Grossmutter bei sich Zuhause ab, stützten sie auf dem Weg die beschwerlichen Stufen hinauf und hinein in die warme Stube. Wir lachten zusammen, als sie das Fleisch beim Fondue Chinoise roh ass, anstatt es zuerst in der Bouillon gar werden zu lassen. Als sie selbst darüber staunte, was sie uns dieses Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte. Oder als sie immer genau beobachtete, wie die Kerzen abbrannten und lauthals darauf aufmerksam machte, wenn sich die Flamme gefährlich den Ästen näherte, – auch wenn es mitten im Lied der Fall war.

Stille Nacht, Oh du Fröhliche, Leise rieselt der Schnee: Wir sangen tatsächlich alle Klassiker – aber wohl vor allem, weil meine Grossmutter wahnsinnig gerne sang – vor dem reich dekorierten und mit Schokolade behangenen Tannenbaum – aber wohl nur, weil meine Mutter so gerne Pralinen hatte und immer die guten an den Baum hängte anstelle der billigen Milchschokolade. Bis vor acht Jahren meine Grossmutter ausgerechnet am 24. Dezember starb. Mit ihr die vertraute, stets singende Stimme, die sich zum Schluss immer häufiger räuspern musste und deren hohe Töne immer ein wenig zittriger wurden. Seither wurden die Weihnachtslieder weniger, gesungen wird aber noch immer. Heute erklingen allerdings die Lieblingslieder meiner Grossmutter: «Uf da Alpa doba», «Das schönste Blümleid auf der Weid» und «Im Wald, im grünen Walde» erklingen in unserer Stube – ungeachtet der weihnachtlichen Atmosphäre. 

So feierten die anderen Redaktorinnen und Redaktoren

Beitrag vom 20.12.2022

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