Blick ins Hirn
Das neue Buch «Brainstorming» widmet sich dem menschlichen Gehirn. Autorin Barbara Schmutz stellt darin 300 hintersinnige und überraschende Fragen zur Denkzentrale und lässt diese von 17 Expertinnen und Experten beantworten.
Text: Roland Grüter
Egal, ob wir alt oder jung sind, gescheit, wissenshungrig oder eher faul: Unser Gehirn ist ein Wunderwerk. Überdies ist es ein Rätsel der Wissenschaft. Denn wie genau die rund 100 Milliarden Nervenzellen in unseren Köpfen mit den mehr als hundert Billionen Synapsen zusammenarbeiten, bleibt ungeklärt. Die meisten Prozesse passieren im Dunkeln. Von den 11 Millionen Bit, die pro Sekunde auf unser Sensorium einwirken, nehmen wir bloss 11 bis 60 Bit bewusst wahr. Entsprechend schwierig ist es, diesen Kosmos zu verstehen. Trotzdem will das Human Brain Project, ein Forschungsprojekt der Europäischen Kommission, die Funktionen des Gehirns mittels Computer simulieren: als ob sich menschliche Eigenschaften wie Humor, Ehrgeiz oder Schlagfertigkeit mit purer Technik abbilden liesse.
Können wir uns klug essen?
Das Hirn umranken nach wie vor zahlreiche Geheimnisse und Vermutungen. Mit Blick darauf kommt selbst Neurowisseschaftler Thomas Südhof zum Schluss: «Wir verstehen weniger als fünf Prozent des Gehirns.» Der gebürtige Deutsche untersucht das Zusammenspiel der Nervenzellen seit Jahrzehnten und erhielt vor sieben Jahren dafür sogar den Nobelpreis für Medizin.
Der erforschte Bereich aber ist höchstspannend. Darauf verweist das neu erschienene Buch «Brainstorming», in dem die Schweizer Autorin Barbara Schmutz 300 grosse und kleine Fragen zu diesem Mysterium zusammengestellt hat – und diese von 17 Neurowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler beantworten lässt. Wie funktioniert das Gedächtnis? Ist Geist und Gehirn dasselbe? Ist der Darm das zweite Gehirn des Menschen? Was genau ist ein Gedankenblitz? Können wir uns klug essen? Macht das Hirn im Schlaf ebenfalls Pause? Ist es verantwortlich für psychische Krankheiten und wie reagiert es auf Drogen?
Die Antworten, die Barbara Schmutz zusammentrug, eröffnen spannende Einblicke in Diskussionen um aktuelle Themen: zu künstlicher Intelligenz, chronischem Schmerz, Gedächtnis, Epigenetik, Demenz, etc. Die aufgelisteten Fakten reichen weit über die Anatomie und das bekannte Leistungsprofil unserer Denkzentrale hinaus. Denn diese regelt auch manche Bereiche, die wir dem Hirn gemeinhin absprechen. Die rechte Hälfte soll beispielsweise unser Bauchgefühl prägen, und sogar in Liebesfragen soll uns das Organ leiten, also darüber entscheiden, wen wir mögen und wen weniger.
Hirn regelt auch Liebesfragen
Generell ist der soziale Umgang im Oberstübchen begründet. Forscher haben herausgefunden, dass sich die Hirne jener Menschen gleichschalten und synchronisieren, die einvernehmlich ein bestimmtes Thema diskutieren. «Grösster Feind des Menschen ist der Mensch», erklärt dazu einer der befragten Neurowissenschaftler: «Wir alle sind empathische Egoisten, wir nutzen andere Menschen aus. Wollen wir verhindern, selbst ausgenutzt zu werden, müssen wir die Menschen herauspicken, auf die wir uns verlassen, denen wir vertrauen können. Wir sind fantastisch gut im Erkennen von Mimik, wir hören aus Stimmen Emotionen heraus, sind unfassbar sensibel im Aufbauen und Pflegen von sozialen Kontakten.» Auch diese Fähigkeiten prägt das Hirn aktiv mit. Ein weiteres Wunder dieses höchst komplexen Konstruktes.
«Brainstorming. 300 Fragen ans Gehirn», Sachbuch von Barbara Schmutz, 224 Seiten, Kein & Aber, ca. 26 Franken