Alle suchen sie ihr Glück
Die französische Tragikomödie «Juliette au printemps» um eine ausgelaugte Kinderbuchzeichnerin und deren Familie fällt erstaunlich nachdenklich aus. Das tut dem Film gut.
Text: Fabian Rottmeier
Wer sich von «Juliette au printemps» eine heiter-leichte Komödie erhofft, ganz so wie es zu Beginn den Anschein macht, wird rasch enttäuscht: Bald einmal gesteht Hauptprotagonistin Juliette einem Wildfremden, dass sie gerade etwas depressiv sei. Dieser, der herzig-schüchterne Übersetzer Pollux, sagt, er nenne es die «tragische Dimension». Kinderbuchzeichnerin Juliette gefällt dieser Ausdruck.
Die Mittdreissigerin aus Paris nimmt sich gerade bei ihrer Familie auf dem Land eine Auszeit und fotografiert dabei immer wieder ihre Liebsten, um diese in ihrem nächsten Buch zeichnerisch einzuflechten. Doch anstatt sich bei ihrer Familie zu erholen, löst der Besuch einen Prozess aus.
Juliette beginnt, sich zu fragen: Woher kommen meine Panikattacken? Woher die Schlafstörungen und die abhanden gekommene Lebensfreude? Eher beiläufig erwähnt ihre Schwester Marylou bei einem Gespräch, dass Juliette als Kind ihren Bruder Nicolas oft in den Armen gehalten habe, bis dieser mit fünf Monaten verstorben sei. Juliette kann sich an nichts mehr erinnern, nicht einmal an Nicolas, geschweige denn dessen Tod. Sie war noch ein kleines Mädchen, als er starb. Als Juliette realisiert, dass Nicolas’ Tod noch immer alle in ihrer Familie beschäftigt, aber niemand darüber redet, bricht sie das Schweigen.
Juliette (ganz rechts) und (von links) ihr Vater, ihre Mutter und Schwester Marylou. (© 2024 Karé Productions / France 3 Cinéma / Auvergne Rhône-Alpes Cinéma)
«Juliette en printemps» gibt einen feinfühligen Einblick in eine etwas chaotische Familie. Die getrennten Eltern von Juliette suchen dabei beide ebenso ihr Glück wie Juliettes Schwester Marylou, die ihren Ehemann nicht mehr begehrt und sich stattdessen im Treibhaus im Garten mit mit einem Kinderunterhalter vergnügt, der zum Schäferstündchen mal im Bärenkostüm, als Papagei oder als Geist vorbeischaut (und sich prompt verstecken muss).
Gewiss, der Film hat immer mal wieder die eine oder andere Szene mit Situationskomik, ist aber hauptsächlich nachdenklich. Und das ist auch gut so, denn nur so wird er dem Thema Depression und Kindheitstrauma auch gerecht – wohl so, wie es sich auch Camille Jourdy, die Graphic-Novel-Autorin der Filmvorlage, gewünscht hätte.
Die französische Regisseurin Blandine Lenoir vertraut dabei immer wieder auf lange Pausen in den Gesprächen, die den Zuschauenden nahe gehen. Am Ende bleibt der Film haften – aber nicht so, wie man es erwartet hätte. Auch dank Norbert, dem alleinegelassenen Entenküken, das Pollux bei sich aufnimmt.
«Juliette au printemps», Frankreich 2024, 96 Minuten, ab 18. Juli im Kino.