Die Wahrheit ist zu langweilig
Catherine Deneuve spielt im Film «La Vérité» eine launische Schauspielerin, die sich in ihrer Biografie nicht um Faktentreue schert. Das bringt ihre Tochter auf den Plan.
Text: Fabian Rottmeier
Fabienne Dangeville mag es nicht, wenn etwas nicht nach ihrem Plan läuft. Das trifft für die Gegenwart ebenso zu wie für die Vergangenheit, an der sich eigentlich nichts mehr ändern lässt. Eigentlich. Denn die von Catherine Deneuve gespielte Star-Schauspielerin des französischen Kinos hat soeben ihre Biografie veröffentlicht – und dabei die Wahrheit als ein mehr oder weniger dehnbares Element interpretiert.
Diese «Freiheit» ist einer der Gründe, weshalb ihre Tochter Lumir, gespielt von Juliette Binoche, bald einmal aus New York nach Paris anreist. Fabienne spielt zu diesem Zeitpunkt in einem Film über eine Tochter mit, die nie älter wird und ihre Mutter damit ganz schön auf die Probe stellt. Fabienne spielt die ältere Mutter – und Film und Alltag vermischen sich ganz gehörig.
Regisseur dreht mit Dolmetscher
Das Besondere an «La Vérite»: Gedreht wurde der Film vom japanischen Regisseur Hirokazu Kore-eda – mit Hilfe eines Dolmetschers. Denn Kore-eda spricht kein Französisch, und Englisch wird im Film nur selten gesprochen – etwa von Ethan Hawke, der Lumirs Mann spielt.
Die aussergewöhnliche Sprachkonstellation geht auf Juliette Binoche zurück, die bei Kore-eda schon vor Jahren den Wunsch deponierte, einmal mit ihm drehen zu wollen. Der 57-Jährige hat vor zwei Jahren für «Shoplifters» die Goldene Palme von Cannes gewonnen. Seine Filme drehen sich oft ums Thema Familie, aber auch der Tod ist nicht minder gegenwärtig. Kinder erhalten meist zentrale Rollen – und wirken manchmal erwachsener als die Erwachsenen.
Kore-edas neuster Film konzentriert sich auf die Reibung zwischen Fabienne und ihrer Tochter Lumir. Da kommt einiges hoch. Lumir beschwert sich nicht als Einzige darüber, wie sie in der Biografie ihrer Mutter dargestellt wird. Pure Provokation ist alleine schon der Buchtitel: «La Vérité». Fabiennes Assistent, der ihr jahrelang jeden Wunsch erfüllte und im Werk nicht einmal erwähnt ist, macht sich beleidigt aus dem Staub.
Noch schlimmer ergeht es darin ihrem Ex-Mann Pierre: Ihn hat sie kurzerhand «totgeschrieben», wie er erfährt, als er unangemeldet zu Besuch kommt. Doch wie sagt Fabienne zu ihrer Tochter: «Die Wahrheit fasziniert mich nicht.» Also verzichtet sie lieber darauf. Und als sie ihren Lebenspartner fragt, ob sie als Schauspielerin am Ende sei, ergänzt sie sogleich: «Antworte nicht! Du könntest die Wahrheit sagen.»
Und so motzt Fabienne unbeirrt weiter – über lauwarme Grüntees, darüber, dass sie gebeten wird, in einer Filmszene ein bisschen schneller zu spielen («Drehen wir hier etwa einen Werbeclip!?»), oder über die Stille, die sie nicht aushält, nicht einmal im Taxi.
Der Film, der fast die ganze Zeit in Fabiennes Haus spielt, erinnert an ein Theaterstück und handelt von Schauspielern, die als Schauspieler auch übers Schauspiel sprechen – und damit auch über Wahrheit und Fiktion.
Leicht und doch ernst
Regisseur Kore-eda hat vieles, was ihm Deneuve und Binoche über ihren Beruf erzählt haben, ins Drehbuch eingeflochten. «Ich wollte einen Film, der nicht nur ernst, sondern auch von einer gewissen Leichtigkeit geprägt ist, in dem Drama und Komödie wie im Leben nebeneinander existieren», sagt er dazu.
Das ist ihm zweifelsohne geglückt, viele Filmkritiker sind angetan von «La Vérité». Menschen, die ausserhalb der Filmwelt leben, könnten von Kore-edas neuster Arbeit aber eher gelangweilt sein, weil der Film ereignisarm (aber dialoglastig) vor sich hinplätschert. Liegt die Wahrheit dazwischen? Gibt es sie überhaupt?
«La Vérité», 106 Minuten, ab 5. März im Kino.