Das verrückte Leben des Not Vital
Der zeitgenössische Künstler Not Vital sorgt mit seinem vielfältigen Schaffen gerne für Diskussionen. Nun gibt der neue Film von Pascal Hofmann über das Leben des Engadiners zu reden. «Not Me – A Journey With Not Vital» läuft seit dem 10. Juni im Kino.
Von Jessica Prinz
Es sind düstere, wenn auch optisch sehr ästhetische Bilder, die durch den Film «Not Me – A Journey With Not Vital» ziehen – einem Werk von Pascal Hofmann über das Leben und Schaffen von Not Vital. Die Szenen im Bündnerischen Sent, in Peking, Patagonien und Ägypten – das sind nur einige der Wirkstätten des 73-Jährigen – sind mystisch, minimalistisch, malerisch. Neben Not Vital selbst (in den immer gleichen schwarzen Kleidern und nie ohne Hut) spielt Fadri Mittner Vitals kindliches Alter Ego. Mit seinem leicht verwirrten und gleichzeitig neugierigen , mutigen Blick streift dieser durch die Wälder des Engadins – und träumt von seiner Zukunft.
«Als Kind macht man Sachen aus vollem Herzen. Je älter du wirst, umso mehr verlierst du das», unterbricht Vital unerwartet das Geschehen auf dem Bildschirm. In klassischen Interviewsituationen sagt er wenig, dafür Spannendes, von dem man gerne mehr hören würde. Schon geht es aber weiter im Programm seines vermeintlich alltäglichen Lebens. Einem Leben, das sich zwischen New York, Rio de Janeiro, dem Engadin und vielen anderen Orten abspielt.
«Not Me – A Journey With Not Vital» zusammenzufassen, ist schlicht unmöglich. Der Film ist weit weg vom klassischen Porträt, in dem der Protagonist spricht und von sich und seinem Schaffen erzählt. Es ist ein verworrenes Werk, das immer wieder zwischen Dokumentation und Fiktion hin- und herspringt: von Interviews mit dem Künstler zu märchenhaften, inszenierten Szenen, von den verschneiten Wäldern des Engadins zum abgehauenen Kopf eines Kamels. Ein Film so irritierend wie die Kunst des Protagonisten selbst. Regisseur Hofmann begleitet den gebürtigen Engadiner auf seinen Reisen rund um den Globus und versucht, dessen Werk so gut wie möglich einzufangen. Ein schwieriges Unterfangen. Denn sobald er glaube, Vitals grösstes Kunstwerk sei nun erschaffen, so liege Tags darauf schon ein Plan für etwas Grösseres, Verrückteres vor, sagt Hofmann.
Immer wieder gibt es Szenen, in denen man merkt, dass sich auch Not Vital in der Situation nicht vollends wohl gefühlt hat. Die Kommentare Hofmanns, der sich regelmässig im Film per Voice-Over zu Wort meldet, bestätigen dieses Gefühl. So soll der Künstler beispielsweise nicht ganz eingesehen haben, wieso er am anderen Ende der Welt mitten in der Dunkelheit mit einem Hammer einen Kohleblock bearbeiten soll. Und als Hofmann ihn gebeten habe, mit dem Gipsabdruck eines Kamelkopfs durch Peking zu spazieren, habe Vital gemeint: «Bei diesem Film kommt doch keine Sau draus.»
Trotz aller Irritation erzeugt der Film, dessen Erscheinung pandemiebedingt mehrfach verschoben wurde, einen erstaunlichen Sog. Besonders die Bilder des Kameramannes Benny Jaberg überzeugen. Nicht nur die Zuschauerinnen und Zuschauer, sondern auch die Jury des Deutschen Kamerapreises. In der Kategorie «Dokumentarfilm» verlieh ihm dieses bereits 2020 einen Preis, weil Jaberg «ein visuell brillantes Künstlerporträt gelingt: Seine Bilder stehen nicht nur für eine äussere Wirklichkeit (z.B. Ortsbeschreibung), sondern immer auch für eine innere Wirklichkeit.»
Der Film ist allerdings nicht bloss experimentelles Künstlerportrait. Als wäre es nicht genug, das bewegte Leben von Not Vital seinem kindlichen, verträumten Ich gegenüberzustellen: Das Werk ist gleichzeitig auch ein wenig das Porträt des Regisseurs, dessen Stimme sich immer wieder über die Aufnahmen legt. In den subjektiven Voice-Over-Momenten erzählt er Episoden aus seinem eigenen Leben. Von seinem Vater etwa, der während der Dreharbeiten gestorben ist, und von den damit verbundenen Gefühlen. In einem Gespräch an den Solothurner Filmtagen sagt der Filmemacher, dass der Schritt, seine persönliche Stimme und Stimmung in den Film einzubringen, nötig gewesen sei. Denn die Dunkelheit, die im Film immer wieder vorherrsche, sei eigentlich keine korrekte Widerspiegelung des lebhaften, fröhlichen Charakters von Not Vital – sondern vielmehr die des Regisseurs.
Man spürt, dass Regisseur und Protagonist sich gegenseitig irritieren, dass aber dennoch ein tiefes Vertrauen zwischen ihnen herrscht. Das hängt wohl damit zusammenhängt, dass sie sich im Kern sehr ähnlich sind. Einerseits zwei bodenständige Bündner, andererseits Künstler, die sich gern auf Innovation und Experimente einlassen.
Allen, die Lust haben, sich mit den beiden auf eine abenteuerliche, aber verwirrende Reise rund um den Globus zu begeben und dabei über Kunst und Kindsein zu sinnieren, denen sei dieser Film empfohlen.
«Not Me – A Journey With Not Vital» ist ab sofort im Kino oder als Stream zu sehen. Für Infos zu den Spielorten, klicken Sie hier.
Haben Sie den Film bereits gesehen? Dann schreiben Sie unten doch einen Kommentar und diskutieren Sie mit.
Sehr ästhetische Bilder, was die Kamera betrifft! Merkwürdige Künstlerperson: man sieht vor allem seine Handwerker arbeiten! Er selbst haut den Hammer nur einmal in einer Nacht- und Nebelaktion. Sehr klischeehaft. Auch fragt man sich, woher der Künstler das ganze Geld hat. Eine Insel und ein Schloss gehören ihm! Seine Frau ist nur schmuckes Beiwerk, er selbst steht als Narziss im Mittelpunkt und schmückt sich mit Namen wie „Basquiat“ und „de Kooning“. Der Mann mit Hut erinnert etwas an Joseph Beuys, nur dass seine Ideen längst nicht so fundiert und visionär sind, sondern sehr oberflächlich. Insgesamt sehr klischeehaft und unnahbar.