Der Fluss des Lebens
Der schweizerisch-kanadische Dokumentarfilmer Peter Mettler hat ein einzigartiges Werk über seine Eltern, das Leben und den Tod geschaffen. Ein Film mit überraschender Wechselwirkung.
Text: Fabian Rottmeier
Peter Mettler ist ein Entdecker. Statt Landkarten nutzt er sein Herz, seine Kamera und (oft) die grossen Fragen des Lebens, um an sein Ziel zu gelangen: Nämlich, alles zu einem Film verschmelzen zu lassen.
Es war noch nie einfach, die Werke des 65-Jährigen, der in Kanada als Sohn von Schweizer Eltern aufgewachsen ist, zusammenzufassen. Oder überhaupt, sie zu fassen. Sein neuester Film macht da keine Ausnahme – und passt in kein Genre. «While The Green Grass Grows» ist ein sehr persönlicher Film, in dessen Zentrum die letzten Lebensabschnitte von Julia (in Kanada Julie) und Alfred (in Kanada Freddy) Mettler stehen, den Eltern des Filmemachers. Peter Mettlers Mutter starb 2019, kurz bevor er mit seinem Projekt begann, das dereinst sieben Teile umfassen soll. «While The Green Grass Grows» vereint die Kapitel 1 und 6.
Peter Mettler bezeichnet ihn selbst als «filmisches Tagebuch». Er nimmt darin einen Dialog mit seinen Eltern auf, in denen er sie über das Altern, das Leben oder über ihre Versäumnisse und Wünsche befragt. Dass es dabei nicht bei einem gewöhnlichen Dokumentarfilm bleibt, ist Mettlers unverkennbarer Herangehensweise an seine Arbeiten zu verdanken. Er vermischt diese Szenen mit Naturaufnahmen, Soundlandschaften, spricht seine Gedanken aus dem Off ein, filmt Begegnungen und Gespräche mit Freundinnen und Bekannten, liest in Büchern von Menschen, die sich philosophisch damit beschäftigt haben. Er sucht die Antworten aber auch in Bildern, in der Natur. Es geht um nichts Geringeres als das Leben und den Tod.
Er sucht – aber weiss nicht recht, was
Vom Sprichwort «Das Gras ist grüner auf der anderen Seite» ausgehend, wollte er einen Film schaffen, der die Welt auf eine ähnliche Art und Weise erkundet wie jemand, der – wie seine Eltern 1953 – auswandert. «Man weiss nicht recht, was man sucht, bewegt sich vom einen zum andern, reagiert, stellt Verbindungen her und macht Entdeckungen», so der Regisseur im Film. Er lässt sich beim Prozess des Drehens treiben.
Peter Mettler reist zu Beginn des Films, nach dem Tod seiner Mutter, mit seinem Vater ins Appenzellerland. Dort beginnt er, dem Wasser zu folgen, das von den Hügeln ins Rheintal fliesst. Wasser wird zur Analogie des Lebens. Das Leben ist ein Fluss. Doch was ist danach, was war davor? Auch diese Fragen umkreist Mettler. Ein befreundeter Nachbar aus dem Appenzellerland sagt dazu: «Solange man sich an mich erinnern wird, bedeutet das ein Leben nach dem Tod. Das muss reichen.» Eine kanadische Freundin nimmt Mettler mit in den Wald, wo sie jeweils ihren Seelenfrieden findet. Und dort mit zunehmendem Alter realisiert hat, wie unbedeutend sie als einzelne Person in Relation zum grossen Ganzen sei. «Das ist aber kein Problem für mich», sagt sie.
Langsamkeit als Stilmittel
Ganz bewusst schafft Peter Mettler einen Film, der sich viel Zeit nimmt und damit auch zur meditativen Erfahrung wird. Er mäandert sich einen Weg zu den Zusehenden, wie ein grosser Fluss – und dauert 166 Minuten. Darin finden sich viele wortlose Passagen, die den Inhalt auf die Zuschauenden zurückwerfen. So wird «While The Green Grass Grows» auch fürs Publikum zum persönlichen Film. Der Abschied der Eltern ist ein Thema, das alle beschäftigt. Es gebe Stellen, an denen er die Langsamkeit bewusst einsetze, um ein Gefühl der Präsenz zu vermitteln, sagt Peter Mettler.
Das Herz des Films bleiben die Szenen mit seinen Eltern. Es ist ein bewegendes, schönes Porträt, das die Alltagsaufnahmen erzeugen. Mit einer schönen Prise Humor, Selbstironie und Lebensfreude, etwa, wenn Julie Mettler im Wohnzimmer tanzt, als wäre sie dreissig. Freddy Mettler schaut sich in einer Szene in einem Handspiegel an und sagt, er möge es nicht, dass seine Mundwinkel mittlerweile so stark nach unten zeigen würden. «Meine beiden Eltern, Julie und Freddy, sind sehr liebenswert», sagt Peter Mettler. Sie hätten im Laufe der Jahre, in denen er gefilmt habe, gut gelernt, verspielt aufzutreten. Für den vielfach preisgekrönten Peter Mettler ist das Filmemachen, das Aufnehmen von Bildern und Tönen eine Art Religion. So hat er es seinem Vater bei dessen letztem Spitalaufenthalt erklärt. «In der Hoffnung, dass man etwas daraus lernt, wenn man zurückblickt.»
«While The Green Grass Grows», ab 11. Januar im Kino. Spielzeiten und Spielorte finden Sie hier (an einigen Vorführungen ist Peter Mettler anwesend). Wer sich weitere Werke von Peter Mettler online anschauen möchte, findet auf der Dokumentarfilmplattform DAFilms hier acht seiner früheren Filme.