V-Mann im Altersheim
Mit der Serie «Undercover im Seniorenheim» betritt Netflix neues Terrain. Das betagte Schauspieler-Ensemble agiert souverän zwischen Comedy und Tiefgang. Prädikat: gelungen.
Warum gibt es bloss so wenige Filme, die im Altersheim spielen? Das fragt man sich beim Ansehen dieser herrlich schrägen Comedy-Serie. Denn genau wie das Spital, die Uni oder die Armee ist auch das Altersheim ein Setting mit jeder Menge Potenzial für Action, dramatische Wendungen und originelle Figuren. Wie schön, dass das endlich mal jemand gemerkt hat!
Hauptfigur Charles (der wunderbare Ted Danson, der auch in der Realität schon stramm auf die 80 zugeht) fühlt sich verloren, seit seine Frau gestorben ist. Die Tage verbringt der pensionierte Professor für Ingenieurswesen mit dem Ausschneiden von Zeitungsartikeln. Die Beziehung zu Tochter und Enkeln ist auch eher eingerostet. Da engagiert ihn eine junge Privatdetektivin, die den Raub eines kostbaren Schmuckstücks in einem Seniorenheim aufklären will. Der Rentner checkt als V-Mann in der Residenz ein, um vor Ort mögliche Verdächtige auszubaldowern.
Dieser Plot ist natürlich einigermassen hanebüchen. Doch darüber sieht man bald hinweg, weil die Handlung und das skurrile Personal einen umso mehr gefangen nehmen. Der charmante Charles kommt bei seinen Mitbewohnerinnen ausserordentlich gut an. Schon die erste Happy Hour läuft völlig aus dem Ruder. «Die sind hier ja alle total wild und notgeil», stellt der Witwer begeistert fest, als ihn die Privatdetektivin am nächsten Morgen aus seinem Kater weckt. Das Heim entpuppt sich als eine Art Club Méditerranée für Betagte, die Leiterin als Superwoman, die jedes Problem mit Feingefühl zu lösen weiss. Bald gerät Charles in die Fänge einer überenthusiastischen Aktivierungstherapeutin, die ihn zum Malen überredet. Allerdings sieht sein Hund auf der Leinwand eher aus «wie ein verstümmelter Walkadaver», und auch im Shakespeare-Kurs macht er sich zum Affen.
Das alles könnte bloss oberflächlich und klamaukig wirken – wenn hier nicht auch mit grosser Empathie die wirklichen Probleme des Alters verhandelt würden. Es geht um Verlust, Einsamkeit, Miesepetrigkeit und Altersstarrsinn, den Umgang mit Krankheit, die Entfremdung zwischen Kindern und ihren alt gewordenen Eltern, das Scheitern an der immer komplizierter werdenden digitalen Welt. Es gibt im Haus einen furchterregenden Ort namens «Die Nachbarschaft», hinter dem sich die Demenzabteilung verbirgt. Zu den berührendsten Szenen gehört, wie Charles versucht, mit einer an Alzheimer erkrankten ehemaligen Kostümbildnerin Kontakt aufzunehmen und an deren Verängstigung und Desorientiertheit scheitert.
«Undercover im Seniorenheim» ist Comedy, aber mit Tiefgang. Der Humor ist stets liebevoller Natur und geht niemals auf Kosten der Alten. Zwar driftet die Serie in manchen Momenten in die Harmlosigkeit ab, reale Probleme wie der Pflegenotstand werden ganz ausgeklammert, und auch dem Ende hätte ein bisschen weniger Feel-good-Zuckerguss gutgetan. Doch insgesamt ist das Projekt gelungen. Bitte mehr davon!
«A Man on the Inside», 1 Staffel, auf Netflix.