47. Trumps unerwünschte Einmischung Aus «Staatsmann im Sturm»
In der leidigen Pressefrage lässt Berlin nicht locker. Am 17. Juli schreibt Frölicher, Köcher sei beauftragt, wieder einmal vorstellig zu werden:
Er [Weizsäcker] bemerkte, es sei bedauerlich, dass die Pressefrage nie zur Ruhe komme. Es nütze niemand etwas, wenn unsere Zeitungen sich zum Sprachrohr der englischen Propaganda machten, dagegen würde uns dies sehr schaden und es sei für unser Land nicht ungefährlich.
Der deutschen Presse – d. h. Goebbels – genügt es nicht, dass Schweizer Zeitungen Beschimpfungen gegenüber Deutschland und deutschkritische Artikel unterlassen. Sie sollen gefälligst die gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen und militärischen Leistungen des Reichs anerkennen und sich für das «neue» Europa. Aufgeschlossen zeigen. Gefragt ist nicht eine mürrisch neutrale, sondern eine freundschaftliche Berichterstattung.
Das Reich wünscht schon seit Monaten personelle Veränderungen bei den für das Reich bedeutsamen grossen bürgerlichen Deutschschweizer Zeitungen Bund, Neue Zürcher Zeitung, Basler Nachrichten und National-Zeitung. Berlin hat ein Interesse daran, dass deren Berliner Korrespondenten und deren Chefredaktoren, wenn nicht deutschfreundlich, so zumindest neutral sind. Der Mann, der dies bewerkstelligen soll, ist Georg Trump, seit Februar Pressereferent an der deutschen Gesandtschaft.
Trump beschwerte sich schon im Mai beim Chefredaktor der einflussreichen christlichsozialen Neuen Zürcher Nachrichten. Der militärische Berichterstatter der Zeitung hatte in einem mit «Kampfmethoden» betitelten Artikel die Wehrmacht kritisiert. Er schrieb, «in der Zeit, als sich die Männer noch Auge in Auge im ehrlichen Kampf gegenüberstanden», habe sich ein «Ehrenkodex für das Waffenhandwerk» gebildet, der seinen Weg vor allem auch zu den deutschen Offizieren fand.
Der Leitartikel der NZN schloss mit der Feststellung:
Wie man erfahren konnte, ist mit diesen Begriffen gründlich gebrochen worden. Die Art der Verwendung von Fallschirmtruppen und die vorangegangene Zersetzungsarbeit sind in deutschen Augen offenbar erlaubte Kampfmethoden.
Gleichzeitig mit Trump protestierte damals der deutsche Militärattaché bei Oberst Masson wegen des die Wehrmacht beleidigenden Artikels. General Guisan befahl der APF, das Erscheinen der NZN für zehn Tage zu verbieten. Es war die bisher schärfste gegen eine bürgerliche Zeitung ausgesprochen Sanktion. NZN-Chefredaktor Odermatt beklagte sich umgehend brieflich bei seinem Parteifreund Etter und nahm dabei kein Blatt vor den Mund.
Verbindungsmann Hptm. Gut sprach damals in seinem Tagesrapport bei Bundespräsident Pilet von «schweren Bedenken» der APF über Trumps Intervention bei den NZN. Trump hatte sich auch bei anderen Blättern eingemischt. Pilet redete darüber mit Köcher, wobei er ein gewisses Verständnis für die deutsche Verärgerung zeigte. Er erklärte, dass Angriffe gegen eine fremde Armee in der Schweiz nicht zugelassen würden. In dieser Frage «sei jeder besonders empfindlich». Befriedigt konnte Köcher am 27. Mai nach Berlin melden:
Ich kam auf die Besuche des Herrn Dr. Trump bei Bund, Berner Tagblatt und der Neuen Zürcher Zeitung zu sprechen und sagte, dass die Besprechungen mit meinem Einverständnis erfolgt seien. Ich hielte es für gut, dass die Herren in der Presse wüssten, welche Gefahren sie sich aussetzten, wenn so gegen Deutschland gehetzt würde. Der Bundespräsident meinte, dass er dagegen nichts einwenden könne. Der Pressereferent einer fremden Macht müsse sich schliesslich betätigen, wenn er das nicht tue, würde ihn seine Regierung zurückrufen.
Sechs Wochen später, am 9. Juli, kurz nachdem Berlin den unliebsamen NZZ-Korrespondenten Reto Caratsch ausgewiesen hat, verlangt Trump vom Verleger des Berner Bund, Fritz Pochon-Jent, die Entlassung von Chefredaktor Ernst Schürch. Der Bund gilt gemeinhin als Hofblatt des Bundesrats und ist die Zeitung, die vom gehobenen Berner Bürgertum und von den Diplomaten zuerst gelesen wird. Schürch, ehemaliger Lehrer, Gerichtspräsident und Staatsanwalt, Chefredaktor seit 1925 und Verfasser geschätzter Leitartikel ist eine stadtbekannte Berner Persönlichkeit.
Den Deutschen ist Schürch wegen seiner Warnungen vor der berüchtigten «5. Kolonne» ein Dorn im Auge. Er schrieb einmal von der Gefahr, dass bei einem Angriff auf die Schweiz «das Ausland uns im Innern mit seinen Zivilisten überfällt, die hier ihr Brot haben». Vor zwei Jahren hatte Schürch mit einem unvorsichtigen Artikel eine pogromartige Demonstration vor dem Juwelierladen eines seit langem in Bern ansässigen deutschen Geschäftsmanns ausgelöst. Darauf hängte ihm die deutsche Gesandtschaft einen Zivilprozess an.
Als Ergebnis der Besprechung mit Trump legt Pochon dem 65-jährigen Schürch ein Vertragskonzept vor, das dessen «freiwilligen» Rücktritt mit «sehr anständigen» Pensionsbedingungen vorsieht. Für Schürch ist dies eine Entlassung. Er verreist verärgert in die Ferien in sein Elternhaus in Grosshöchstetten.
Die «Entlassung» Schürchs verbreitet sich wie ein Lauffeuer durch Berns Lauben. Anlässlich der zweitägigen Sondersession zur Wahl des neuen Bundesrats erfahren Parlamentarier von der Affäre. Die Nationalräte Oeri, Gut, Feldmann, alle wie Schürch Chefredaktoren bürgerlicher Blätter, sind aufgebracht. Feldmann, Vizepräsident der Gemischten Pressepolitischen Kommission (GPK), notiert am 17. Juli:
Nach Schürch soll Bretscher von der NZZ drankommen. Die Redaktion der National-Zeitung in Basel wollen die Deutschen nach der Ankündigung Trumps nach ihrem eigenen Gutfinden zusammensetzen; u. a. soll dort Kober [offiziöser Chefredaktor] über die Klinge springen. Wir beschlossen, die Angelegenheit über Gut sofort an den Bundesrat zu leiten. Der Kampf um die entscheidenden Stellen unserer inneren Freiheit beginnt …
Zum Autor
Hanspeter Born, geb. 1938, Schulen in Bern, Dr. phil. hist.; Redaktor beim Schweizer Radio, USA-Korrespondent; Auslandchef der Weltwoche (1984–1997);Autor von Sachbüchern, darunter «Mord in Kehrsatz», «Für die Richtigkeit –Kurt Waldheim» sowie (mit Benoit Landais) «Die verschwundene Katze» und «Schuffenecker’s Sunflowers».
Gut und Feldmann organisieren den Widerstand und verlangen vom Bundesrat, dass er sich der GPK stellt. In Bern plant der Romanistikprofessor Karl Jaberg, ein Freund Schürchs, mit einigen «Herren aus Hochschulkreisen» Pochon zu schreiben, dass sie «ihr Interesse am Bund verlieren» würden, wenn Schürch entlassen würde. Darauf druckt Pochon, am 26. Juli, wieder einen mit Schürchs Kürzel E. Sch. gezeichneten Leitartikel ab. Titel: «Freiheit»:
Jeder Freiheit, auch der wirtschaftlichen, muss die geistige Freiheit zugrunde liegen. Nur da ist wahre Freiheit, wo der Mensch seinem Höchsten gehorchen darf, nicht da, wo er seine materiellen Interessen über alles setzt. Ohne die Freiheit des Bekennens und Redens aber erstickt die Glaubens- und Gedankenfreiheit.
Die Druckversuche der Achse in Sachen Presse reissen nicht ab. Am 16. Juli teilt Pilet den Kollegen mit, dass die APF die Tessiner Zeitungen Avanguardia und Libera Stampa mit Erscheinungsverboten von zwei und drei Wochen bestraft hat. Sie seien in ihrer Berichterstattung über den Seekrieg im Mittelmeer gegenüber Italien respektlos gewesen. In Rom hat Aussenminister Graf Ciano wegen der beiden Artikel den Schweizer Gesandten Paul Rüegger zu sich zitiert. Dieser berichtet Pilet per Kurier:
Graf Ciano hob hervor, dass er es besonders begrüsse, dass die Bundesbehörden von sich aus spontan und in rascher Weise zugegriffen hätten. Dadurch werde, sagte er, ein Zwischenfall beigelegt, der schwere Konsequenzen hätte haben können. Ohne im weiteren den Achsenpartner besonders blossstellen zu wollen, machte Graf Ciano, wie er sagte «da buon amico» die folgenden Feststellungen, die offenbar auf seinen letzten Besprechungen in Berlin und München beruhen: «Die einzige Gefahr, die die Schweiz heute noch läuft, liegt auf dem Gebiet der Presse. Auf diesem Gebiet aber marschiert Ihr auf des Messers Schneide («camminate sulla lama del rasoio»). Ist es der Mühe wert, wegen einiger Quadratmeter gedruckten Papiers Euer Land direkt zu gefährden?»
Berlin und Rom stimmen sich in ihrer gegen die Schweizer Presse gerichteten Politik sorgfältig miteinander ab. Am 17. Juli schickt Deutschland und am 18. Juli Italien dem Politischen Departement Protestnoten gleichen Inhalts. Wortlaut der Note der Deutschen Gesandtschaft:
Der Regierungspräsident des Kantons Bern, Herr Robert Grimm, der zugleich Präsident
der Eidgenössischen Arbeitsbeschaffungskommission und Chef der Sektion für Kraft und Wärme des Eidgenössischen Kriegswirtschaftsamtes ist, hat am 18. Februar d. J. auf dem Parteitag der bernischen Sozialdemokratie eine Rede gehalten, die im Druck erschienen ist und zurzeit in der Schweiz vertrieben wird.
Die Gesandtschaft zitiert wörtlich zwei Stellen in Grimms Schrift, die ihr aufgestossen sind:
«Diese Diktaturen stellen in ihrer Gesamtheit einen Rückfall in die Barbarei dar. Sie vernichten die Grundrechte der Menschheit, zerstören die Freiheiten und Rechte der Bürger, zerschlagen Treu und Glauben, als Grundlage der gesellschaftlichen und zwischenstaatlichen Beziehungen. Sie bedeuten die Methoden des Massakers, die Methoden der brutalen Vernichtung des Gegners, unbekümmert um seine Klassenstellung.» Auf Seite 6 charakterisiert Herr Grimm die Regierung der totaliären Staaten, also auch Deutschlands, wie folgt: «Es ist ein bunt zusammengewürfelter Apparat von ehemaligen Landsknechten und Abenteurern, kulturlos, brutal und geniesserisch zugleich, ein diktatorischer Apparat, der in ganz anderer Art und in ganz anderem Ausmass ein ein Bonzentum verkörpert, von dem früher etwa die Rede war.»
Die Note schliesst mit einer kaum verhüllten Forderung:
Derartige üble Hetzreden verstossen nicht nur gegen die Neutralität, die die Schweizer Regierung für sich in Anspruch nimmt; sie verletzen auch in gröblichster Weise die Gesetze des Anstandes. Es erscheint untragbar, dass heute noch Persönlichkeiten in der Schweizer und kantonalen Regierung an leitender Stelle stehen, die es sich in dieser Weise angelegen sein lassen, das Reich und seine Führung zu beschimpfen und zu verleumden.»
Die deutsche Regierung verlangt somit die Entlassung des «untragbaren» Nationalrats Grimm aus seinen «leitenden Stellungen», die alle ausdrücklich erwähnt werden: Regierungspräsident des Kantons Bern, Präsident der Eidgenössischen Arbeitsbeschaffungskommission, Chef der Sektion für Kraft und Wärme. Berlin weiss, wer Grimm ist. Der deutsche Vorstoss richtet sich gegen die europaweit bekannteste Persönlichkeit der Schweizer Linken, den Mann von Zimmerwald und St. Petersburg,
den «Landesstreikgeneral», die legendäre historische Figur.
Die Demarche ist gefährlicher als alle bisherigen gegen die Schweiz unternommenen diplomatischen Schritte der Achsenmächte, ausgenommen vielleicht die deutsche Drohnote nach den Flugzeugkämpfen. Das Reich tastet mit seiner Forderung die schweizerische Souveränität an. Kein Wunder, dass der Bundesrat den Eingang der drohenden Noten vor der Presse, aber auch vor der Vollmachtenkommission, geheim hält.
- Hier gehts zum Nachwort.
- Jeweils sonntags wird der Roman «Staatsmann im Sturm» auf zeitlupe.ch fortgesetzt.
- Diese Kapitel sind bereits erschienen
«Staatsmann im Sturm»
Hanspeter Born, Staatsmann im Sturm. Pilet-Golaz und das Jahr 1940. Münster Verlag 2020, gebunden, mit Schutzumschlag, 540 Seiten, CHF 32.–. ISBN 978-3-907 146-72-, www.muensterverlag.ch
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Umschlagsgestaltung: Stephan Cuber, diaphan gestaltung, Liebefeld
Umschlagsbild: KEYSTONE-SDA / Photopress-Archiv