Dürrenmatt schrieb: «Ich ‹kann› kein Deutsch»
Eine neue, 750 Seiten dicke Biografie über Friedrich Dürrenmatt zeichnet ein facettenreiches Bild des «Erzählgenies» – auch dank der darin abgedruckten Briefe.
Von Fabian Rottmeier
Nein, Friedrich Dürrenmatt gehörte bestimmt nicht zu den einfachsten Menschen. Er konnte aufbrausend sein, belehrend, schroff. Doch er hatte noch viele andere Seiten – auch eine harmoniebedürftige. Dem Literaturwissenschaftler Ulrich Weber ist es mit dem Buch «Friedrich Dürrenmatt – eine Biografie» eindrücklich gelungen, ein aufschlussreiches Bild des Emmentaler Autors zu erstellen. In seiner Einleitung beschreibt er Dürrenmatt als Provokateur, Erzählgenie, philosophischer und politischer Denker, als verletzlich und empfindlich.
Das Buch ist 750 Seiten dick – zum Glück! Dieser Umfang erlaubte es dem wissenschaftlichen Mitarbeiter des Schweizerischen Literaturarchivs Bern und des Centre Dürrenmatt in Neuenburg, eine beeindruckende Anzahl an ausführlichen Zitaten, Erlebnissen und Kommentaren über Friedrich Dürrenmatt zusammenzutragen. Sie alle zeigen auf, wer und wie unterschiedlich Dürrenmatt war. Ulrich Weber, der in Neuenburg auch für den Nachlass von Friedrich Dürrenmatt verantwortlich ist, erzählt den Werdegang des 1990 Verstorbenen in chronologischer Reihenfolge.
Von dessen Kindheit, als ein (Eigenzitat) «zufriedener Egozentriker» heranwuchs, der es sich als Pfarrerssohn gerne auch mal in ausgehobenen Gräbern gemütlich machte; über die finanziell schwierigen Zeiten als Jungautor mit Familie; bis zu seinen weniger erfolgreichen Jahren ab 1963, denen Weber im Gegensatz zu früheren Werken mehr Platz gibt.
Briefe rücken den Schriftsteller in ein neues Licht
Bemerkenswert an der neuen Biografie sind auch die Briefe, die teilweise zum ersten Mal veröffentlicht wurden. Fritz Dürrenmatt, wie ihn alle Freunde nannten, schrieb nur ungern Briefe, egal, welcher Art. In einem Taschenkalender-Eintrag aus dem Jahr 1950 – auch aus diesen zitiert Weber erstmals – schrieb er: «Die Post sollte verboten werden.»
Tief blicken lassen einige undatierte Briefe an seine erste Frau Lotti Geissler, in die er sich 1946 Hals über Kopf verliebte. Von der Trennung seiner damaligen Freundin bis zu den Heiratsplänen mit Lotti verging gerade mal eine Woche. Die Ehe durchlebte auch Krisen und Lotti Dürrenmatt litt an Depressionen und war alkoholsüchtig. 1961 notierte Dürrenmatt: «Lotti schneidet sich.» In einem Brief an seine Frau schrieb er, dass ihm aufgefallen sei, wie abhängig er ihr gegenüber sei: «Ich hocke auf dir, ich gebe dir keinen Raum. Weshalb? Eine richtige Antwort darauf zu finden ist schwer. Die Frage führt geradewegs in mein Zentrum. Ich schrecke oft vor der Frage nach meinem Wesen zurück.»
«Ich bin zu einem Kinde in dir geworden, ich habe mich aus der Welt in dich geflüchtet»
Dürrenmatt in einem Brief an seine Frau Lotti Dürrenmatt
Dürrenmatt sah sich «erschreckenderweise» als «Riesensäugling mit Wunschträumen». Er sei wie ein Kind, das ständig von seiner Mutter nehme: «Ich bin zu einem Kinde in dir geworden, ich habe mich aus der Welt in dich geflüchtet.» Er schloss den Brief mit den Worten: «Zerreiss den Brief, aber sei mir nicht böse, dass ich ihn schrieb. Ich liebe dich.» Als seine Frau 1983 starb, fiel Dürrenmatt in ein grosses Loch. Einem Freund schrieb er: «Wie soll man da noch weiterschreiben, wenn es keine Beziehung zur Gegenwart mehr gibt?» Er hadert: Sein Leben sei blödsinnig geworden. «Mein Diabetes beginnt mich zu besiegen.»
Ganz anders der Brief an seine zweite Frau Charlotte Kerr, die er 1984 im Alter von 63 Jahren und ein Jahr nach Lotti Dürrenmatts Tod heiratete. Der Schauspielerin und Filmemacherin schrieb er: «Mein geliebtes Joggeli / da Du selbstverständlich auch ein Recht auf Liebesbriefe hast und ich mit Entsetzen feststellte, dass Du noch nicht im Besitz eines solchen vom Unterzeichneten in Dich Verliebten bist, schreibe ich zerknirscht einen solchen.»
Dürrenmatt verspottet Kritiker als Pudel
Äusserst unterhaltsam – zumindest als Leserin oder Leser – gestaltete sich 1956 eine kleine Brief-Fehde zwischen Dürrenmatt und dem NZZ-Kritiker Werner Weber. Der Journalist hatte Dürrenmatt in einem seiner Artikel für dessen schludrigen Umgang mit der Sprache und Grammatik kritisiert. Dürrenmatt war erbost. Er antwortete mit einem langen Rundumschlag und begründete diesen unter anderem in seiner gewohnt spitzen Art: «Meine Sprache stellt sich so langsam her, dass sie gar nicht dazu kommt, auch noch grammatikalisch immer richtig zu sein.» Es folgen bitterbös-lustige Sätze wie «Ich ‹kann› kein Deutsch. Deutsch können Sie, wie ein Pudel, der seine Kunststücke macht.» oder «Bleiben Sie in Ihrem sprachlichen Museum, aber verbrennen Sie sich die Hände nicht bei Naturvorgängen.»
Die schöne Pointe zum Schluss: Nach mehreren Briefwechseln bot der NZZ-Schreiber am Ende an, in Zukunft die Texte vor dem Abdruck Korrektur zu lesen. Für den mehrfach verfilmten Kriminalroman «Das Versprechen» sollte es dann tatsächlich dazu kommen. Auch Anekdoten wie diese sind eine Stärke von Ulrich Webers Buch. An einer Podiumsdiskussion in Berlin wurde Dürrenmatt einst gefragt, ob er nicht Hochdeutsch sprechen könnte. Dürrenmatt antwortete in seinem bewusst vorgetragenen Schweizer Akzent und mit tiefer Stimme: «Ich kann nicht höher!»
Ulrich Weber: «Friedrich Dürrenmatt – eine Biografie», Diogenes Verlag, Zürich, 2020. Richtpreis CHF 37.–, E-Book 32.–. Bestellung und Leseprobe auf diogenes.ch
Dürrenmatt-Ausstellung in Zürich
Nächstes Jahr würde Friedrich Dürrenmatt 100 Jahre alt. Die soeben eröffnete Ausstellung im Zürcher Museum Strauhof stellt sein Spätwerk und seine Arbeit am Zürcher Schauspielhaus ins Zentrum. Zum Artikel.