Regisseur der Nation
«Gilberte de Courgenay» oder «Uli der Knecht»: Franz Schnyders Filme gehören zum kulturellen Gedächtnis der Schweiz. Eine neue Biografie schildert erstmals und umfassend sein Leben und Wirken.
Text: Annegret Honegger
Es ist ein alter, zorniger Mann, der am 12. Mai 1992 morgens gegen neun Uhr in Anzug und Krawatte die Inhaberin der Kunstgalerie W. in Burgdorf mit einer Walther-Pistole Kaliber 22 bedroht und kurz darauf festgenommen wird. Der Täter wird in die Psychiatrische Klinik Münsingen eingewiesen und stirbt dort neun Monate später, nur noch ein Schatten seiner selbst.
Der zornige alte Mann ist Franz Schnyder, einer der erfolgreichsten Filmregisseure, den die Schweiz je hatte. Die eben erschienene Biografie «Franz Schnyder. Regisseur der Nation» von Ursula Kähler und Raff Fluri zeichnet den Lebens- und Schaffensweg des Emmentalers erstmals umfassend nach. Archivrecherchen und Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen malen ein Bild eines Künstlers, der in seiner Karriere höchste Höhen und tiefste Tiefen erlebte.
«Gilberte» und die Gotthelf-Filme
Bereits mit 19 verliess Franz Schnyder nach der Matur sein gutbürgerliches Elternhaus in Burgdorf. Nach der Ausbildung an der Schauspielschule arbeitete er in verschiedenen Theatern in Deutschland und der Schweiz als Schauspieler und Regisseur. Weltkriegsbedingt zurück in der Heimat, gelang ihm 1941 bereits mit seinem ersten Film ein grosser Erfolg: «Gilberte de Courgenay», die Geschichte der Wirtstochter und Soldatenmutter aus dem Jura mit Anne-Marie Blanc in der Hauptrolle, lockte sagenhafte 1.8 Millionen Menschen in die Kinos.
Den Zenit seiner Laufbahn erreichte Franz Schnyder mit Gotthelf-Filmen wie «Uli der Knecht», «Die Käserei in der Vehfreude» oder «Geld und Geist». Darin brachte er beliebte Darstellerinnen und Darsteller wie Liselotte Pulver, Hannes Schmidhauser, Emil Hegetschweiler, Heinrich Gretler oder Annemarie Düringer zum Glänzen – und mit spektakulär gedrehten Action-Szenen den Wilden Westen ins Emmental. Der grosse Charlie Chaplin besuchte ihn am Set und Bundesräte beehrten seine Filmpremieren gleich in der Mehrzahl.
Grosse Erfolge und bittere Niederlagen
Wie nahe spektakuläre Erfolge und schmerzhafte Rückschläge in der Karriere des Regisseurs beisammen lagen, zeigen Schnyders künstlerisch ambitionierte und heimatkritische Filme, die beim Publikum durchfielen. Auch privat erlebte der Regisseur mit der charakteristischen Zipfelmütze – bei guter Laune trug er eine weisse, bei schlechter eine schwarze – immer häufiger dunkle Momente. Alkohol, Aufputsch- und Beruhigungsmittel gehörten mehr und mehr zu seinem Alltag.
Während das Publikum in Scharen für Schnyders Heimatfilme ins Kino strömte, bezichtigte die junge Generation von Schweizer Filmern und Filmkritikern ihn des billigen «Hurrah-Patriotismus». Schnyders letzter Film «Die 6 Kummer-Buben» war zwar als Fernsehserie erfolgreich, doch für die Kritik eine «verkitschte Filmschwarte von vorvorgestern». Zu gross war der Gegensatz von Emmental und weltweiten Jugendunruhen 1968.
Frustration und Verbitterung
Eindrücklich beschreiben die Autoren den Kampf des alternden Erfolgsregisseurs gegen den Wandel der Zeit und das Vergessen. Franz Schnyder fühlte sich verkannt, verraten und betrogen. Er protestierte gegen die Politik im Allgemeinen und gegen die Schweizer Filmförderung im Speziellen, welche etwa sein ambitioniertes Pestalozzi-Projekt verschmähte. Obwohl längst pleite, plante Franz Schnyder ein Grosskino in Burgdorf und eine gigantische Filmstadt samt Schnyder-Museum in Lützelflüh. Sein mondäner Lebensstil mit Rolls Royce und Chauffeur war in Burgdorf Stadtgespräch. Frustration und Verbitterung wuchsen, immer wieder drohte der Regisseur mit der Zerstörung seiner Werke.
«Seine zuvor in kreativen Schaffensprozessen entladene positive, kraftvolle Energie wandelte sich in eine bittere, destruktive», schreiben die Autoren. Franz Schnyder legte sich mit allen und allem an, zuletzt sogar mit seinen engsten Freunden und seinem Zwillingsbruder. Der fürsorgerische Freiheitsentzug aufgrund des eingangs erwähnten Raubüberfalls 1992 bedeutete für ihn ein weiteres und letztes Unrecht auf seinem Lebensweg. Neun Monate später starb Franz Schnyder, wahrscheinlich auch an den Folgen einer unsachgemässen Medikation.
Mit Leib und Seele für den Schweizer Film
Während Franz Schnyders Filmklassiker bis heute regelmässig im Fernsehen gezeigt werden, veränderte sich die Wahrnehmung seines Werks nur langsam. Gefragt nach grossen einheimischen Regisseuren, meinte etwa Oscar-Preisträger Xavier Koller 2012: «Denken Sie an Franz Schnyder. Aber für unsere Generation war das damals ja alles Bullshit. Wir wollten dieses Kino zerstören mit unseren neuen, jungen Schweizer Filmen. Später mussten wir feststellen, dass wir da grausam ungerecht waren.»
Filmfreunde werden die detaillierte Biografie mit allen künstlerischen, unternehmerischen sowie privaten Höhen und Tiefen ebenso schätzen wie historisch Interessierte. Zahlreiche Fotos ergänzen den Text und bieten ebenfalls interessante Einblicke in die damalige Filmszene und die Geschichte des Schweizer Films. Das Buch von Ursula Kähler und Raff Fluri schliesst eine filmhistorische Lücke und liefert, was es im Vorspann verspricht: Ein möglichst genaues Bild eines in vielerlei Hinsicht extremen und widersprüchlichen Mannes, der mit Leib und Seele Filme über die Schweiz und für die Schweiz machte.
«Franz Schnyder. Regisseur der Nation» von Ursula Kähler und Raff Fluri.
280 Seiten und 97 Schwarzweissfotos, gebunden. Hier und Jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte, Baden 2020, CHF 39.–.
Archivperle von SRF: «Kulturplatz» über Franz Schnyder vom 3. März 2010