Alt, aber kein bisschen leise
Was beutet Älterwerden im Schweizer Rock- und Pop-Zirkus? Zwei junge Musiker erkundigten sich bei jenen, die es wissen müssen: den Pionieren der Branche. Entstanden ist daraus eine berührende Fernsehdokumentation.
Text: Claudia Senn
Was wird eigentlich aus Rock- oder Popstars, wenn die Knie anfangen zu zwicken, das Herz schwächelt und der Funke zum Publikum nicht mehr so richtig überspringen will – mit anderen Worten: wenn sie älter werden? Das fragten sich die beiden Basler Musiker Fabian Chiquet und Victor Moser, die mit Mitte dreissig gerade selbst in eine verfrühte Midlife-Crisis schlitterten.
Zehn Jahre zuvor standen sie mit Ihrer Art-Pop-Band «The Bianca Story» kurz vor dem internationalen Durchbruch. Dann passierte, was vielen jungen Talenten überall auf der Welt passiert: das Leben kam dazwischen. Chiquet und Moser bekamen je zwei Kinder. Die Brutpflege erwies sich als kraftraubender als erwartet. Musikmachen konnte man dann, wenn die Kinder endlich im Bett waren – falls man sich vor lauter Erschöpfung nicht gleich selbst dazulegte. Schliesslich löste sich die Band ganz auf.
Und nun? Wie weiter? War es das mit den grossen Ambitionen? Und überhaupt, wie geht das: Altwerden im Popzirkus? Chiquet und Moser beschlossen, jene zu fragen, die den Pop und Rock in der Schweiz einst erfunden hatten, die Pionierinnen und Pioniere aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Von den Alten lernen wollten sie, gemeinsam mit ihnen Songs schreiben, sie zusammentrommeln, um eine Generationen-Band zu gründen, vielleicht sogar ein gemeinsames Konzert auf die Beine stellen – und das alles mit der Kamera dokumentieren.
Sechs Jahre haben die beiden an ihrem Projekt gearbeitet, inklusive Pandemie-Pause. Mehr als einmal drohte es beinahe zu scheitern. Als grösste Herausforderung erwiesen sich die bejahrten Protagonistinnen und Protagonisten selbst, die daran zweifelten, ob sich der Aufwand überhaupt lohne. Er wolle doch nicht in einem Song über sein Alter klönen, schimpfte etwa Düde Dürst, Schlagzeuger von «Les Sauterelles» und «Krokodil», «ich will es jetzt geil und lustig haben.» Auch Küre Güdel, Schlagzeuger von Rumpelstilz, war nicht gleich Feuer und Flamme. «Bald hundertjährig» sei er, «ds Chrampfe», die Musik und «Polo Hofer, der grosse Schluckspecht», hätten ihm zugesetzt, «i ma nümm». Schöre Müller, Gitarrist und Sänger von «Span», konnte sich anfangs gar nicht anfreunden «mit diesem elektronischen Zeugs» und der Herangehensweise der Jungen. Andere wie Toni Vescoli machten gar nicht erst mit bei den gemeinsamen Jam-Sessions.
Doch Fabian Chiquet und Victor Moser liessen sich nicht entmutigen. Sie hörten ihren Protagonisten (und vereinzelten Protagonistinnen) zu, nahmen die Bedenken ernst, drängten niemanden zu gar nichts und holten schliesslich doch fast alle mit an Bord. So entstand eine berührende Dokumentation, die zwar keine endgültige Antwort darauf gibt, wie man denn nun in der Branche würdig altert. Aber Geschichten darüber erzählt, wie schwer und hindernisreich es schon damals war, Pop- oder Rockstar zu sein, den Drogen rechtzeitig wieder zu entsagen, den Bankrott zu verhindern oder die Auflösung der Familie.
Am Ende stehen sie tatsächlich alle gemeinsam auf einer Bühne, im Basler Atlantis. Alle Querelen sind vergessen, nur noch eines zählt: die gemeinsame Begeisterung für die Musik – die sie für einen Abend vergessen lässt, wie alt sie schon sind.
Die Dokserie «I’ll Remember You» sowie der gleichnamige Film sind auf Play SRF und auf Youtube zu sehen. Gleichzeitig ist auch ein Podcast zum Projekt erschienen (auf srf.ch und überall, wo es Podcasts gibt) sowie ein Album mit den Songs.