«Komm grosser schwarzer Vogel» von Ludwig Hirsch Songs und ihre Geschichten
In seinen Songs sezierte der Liedermacher detailverliebt die Brutalität des Alltags.
Von Urs Musfeld
Sollte man das Werk Ludwig Hirschs auf eine Vokabel komprimieren, wäre es «dunkelgrau». Mit Liedern dieser Farbe drang er 1978 ins Bewusstsein der Österreicherinnen und Österreicher.
Der 1946 in der Steiermark geborene und in Wien aufgewachsene Sänger, Poet, Schauspieler und Mundartdichter schrieb keine Gassenhauer, seine Stücke waren kleine Kostbarkeiten aus dem Schattenreich.
Bittere Wahrheiten
Sein Spott war zärtlich, seine Kritik poetisch, seine Lieder waren düster. Mit sanfter, am Theater geschulter Stimme zwang Ludwig Hirsch zum Zuhören, um in scheinbar harmlosen Geschichten bittere Wahrheiten und trügerische bürgerliche Beschaulichkeit zu entlarven. Seine besten Kompositionen leben von Kunstpausen, von präzise gesetzten Effekten. Und da war noch das Wienerische, dessen Sprachmelodie und der zugleich reizende und «gescherte» Dialekt einen tiefen Sog auf sein Publikum ausübten.
Detailverliebt sezierte Hirsch die Brutalität des Alltags. Mord und Totschlag umrahmte er mit Spitzendecken und Gardinen, legte den Finger in die Wunden einer unglücklichen Biografie («Der blade Bua») oder liess eine Geburtstagsüberraschung tödlich enden («Das Geburtstagsgeschenk»):
Schick Dich doch selber Deiner Freundin in an Packerl!
Glaub› mir die Kleine wird sich freu’n,
schick Dich doch selber Deiner Freundin in an Packerl!
A Bombenüberraschung wird das sein!
Mit an Messer traktiert sie
jetzt vergeblich das Trumm
sie sticht und sie schneidet verzweifelt herum.
Ja
und die Susi
die kriegt schon langsam a Wut
und auf einmal ist ihr alles einarlei
sie holt eine Hacke und hackt
das Packerl mitten entzwei.
Das war das Ende von mein Freund
dem Schurli-Bua.
Musikalisch war der gern als Liedermacher bezeichnete Musiker näher am Chanson als am schlichten, zur Gitarre gespielten Lied.
Hirsch kombinierte mit Vorliebe seine kritischen, makabren und morbiden Texte mit gefälligen, romantischen und melancholischen Melodien. Durch diesen Gegensatz wird die Aussage seiner Texte häufig noch unterstrichen. Streicher umschmeicheln die Erinnerungen am Grab der «Omama», die zwischen Hitlerbild, Mutterkreuz und vollem Nachttopf ein herzloses Regiment führte – bevor sie an ihren dritten Zähnen erstickte.
Liebesbeziehung zu Wien
Ludwig Hirsch formulierte für seine Generation die Antithese zur bunten Hippie-Laune. In Erinnerung bleibt er wohl vor allem für seinen nonchalanten Umgang mit dem Tod. Schon immer haben die Wiener und der Tod ein ganz besonderes Verhältnis zueinander. Es ist nicht zuletzt diese bittersüsse Liebesbeziehung, die der Stadt ihr melancholisch-morbides, charmant-staubiges Flair einhaucht.
Bereits zu Beginn seiner Karriere äusserte Hirsch in seinem Lied «I lieg am Ruckn» die Hoffnung, wenn er dereinst im Grab liege, exhumiert zu werden. Dann ginge er zu seiner Geliebten und hole sie zu sich –damit er in der Grube nicht erfriere.
«Eines ist dabei wichtig», sagte Hirsch in einem Interview: «Man kann in die tiefsten Abgründe und die schwärzesten Höhlen hinuntersteigen – solange man sich dabei selber ein bissl über die Schulter blinzelt. Wenn in «I lieg am Ruckn» der Wurm kommt, dann ist das so ein Augenzwinkern – wenn das dabei ist, dann ist es okay.» Und wenn nicht? «Dann wär’s schrecklich. Dann würde ich mich als Zuhörer schrecken und abdrehen.»
Der Kamerad Tod
Das grosse Vermächtnis von Ludwig Hirsch ist zweifellos «Komm, grosser schwarzer Vogel» ab dem gleichnamigen Album aus dem Jahr 1979, mit dem er das Thema Tod buchstäblich salonfähig machte. Kompositorisch und vom Text her handelt es sich um ein Lied, das bis heute und darüberhinaus nachwirkt. Bei Trauerfeiern gilt der Song als besonders beliebt. Es vermittelt eine Leichtigkeit, die den Tod nicht als Feind, dem man nicht begegnen will, sondern als Kameraden, als Freund anerkennt. Wenn er denn kommt, so gilt es nicht, sich zu verstecken, sondern ihn zu begrüssen.
Und dann fliagn ma auf
Mittn in Himmel eini
In a neiche Zeit
In a neiche Welt
Und i wer singen
I wer lochn
I wer «Das gibt’s net!» schrein!
Weil ich wer auf amol kapiern
Worum sich alles dreht!
Auf geht’s
Mitten in den Himmel eine
Net traurig sein
Na, na, na
Is ka Grund zum Traurigsein!
I wer singen
I wer lochn
I wer «Des gibt’s net!» schrein!
I wer endlich kapiern
I wer glücklich sein!
Über die Grundidee zum Song vermerkte Ludwig Hirsch:
«Ich hatte eine Freundin, die mit anderen Freunden beim Heurigen war. Auf dem Heimweg hatte sie einen Unfall und war vom Kopf abwärts gelähmt. Sie lag im Spital, an Schläuchen angeschlossen und konnte sich nicht bewegen. Irgendwann ist es ihr zu viel geworden und sie hat versucht, sich mit dem Mund die Schläuche aus dem Leib zu ziehen. Sie ist daran nicht gestorben, sondern erst kurz später einer Lungenentzündung erlegen. Aber sie wollte mit dieser Aktion ein Ende machen. Das hat mich zu diesem Lied inspiriert.»
Unterwegs mit treuen Fans
Ein selten trauriges, aber wunderschönes Stück. Der österreichische Radiosender Ö3 fand «Komm, grosser schwarzer Vogel» zu morbid, und strahlte ihn nur bis 22 Uhr aus. Die Angst davor, Hörerinnen und Hörer könnten Selbstmord begehen, ging um.
Ein Dutzend Studioalben hat Ludwig Hirsch veröffentlicht. Sein grösster Hit gelang ihm 1983 mit «Gel›, du magst mi», einer Version von Elvis Presleys «Love Me», das eher sarkastisch als romantisch klang. Seine Konzerte führten ihn auch nach Deutschland und in die Schweiz. Die Fans blieben ihm über Jahrzehnte treu, alterten mit ihm. Neben seiner künstlerischen Tätigkeit bezog Hirsch oft politisch Stellung, trat gegen Atomkraft auf, engagierte sich für Greenpeace und Amnesty International.
Schwer an Lungenkrebs erkrankt stürzte sich der 65-Jährige 2011 aus einem Fenster eines Wiener Spitals. Er sagte einst: «Es geht uns besser drüben dann, wenn man das Leben halbwegs gut über die Runden gebracht hat».
Urs Musfeld alias Musi
Urs Musfeld alias MUSI, Jahrgang 1952, war während 39 Jahren Musikredaktor bei Schweizer Radio SRF (DRS 2, DRS 3, DRS Virus und SRF 3) und dabei hauptsächlich für die Sendung «Sounds!» verantwortlich. Seine Neugier für Musik ausserhalb des Mainstreams ist auch nach Beendigung der Radio-Laufbahn nicht nur Beruf, sondern Berufung. Auf seiner Website «MUSI-C» gibt’s wöchentlich Musik entdecken ohne Scheuklappen zu entdecken: https://www.musi-c.ch/