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«(Sittin› on) the dock of the bay» von Otis Redding Songs und ihre Geschichten

Er war der King Of Soul der 1960er-Jahre, ein begnadeter Sänger, Songschreiber und Performer, der die Grenzen der Soulmusik sprengte.

Von Urs Musfeld

Mit seinen Auftritten in Europa und beim Monterey Pop Festival trug Otis Redding die afroamerikanischen Sounds aus den Südstaaten der USA in die (weisse) Pop-Welt. Der Memphis Soul von Stax Records ist ohne ihn nicht vorstellbar und sein Einfluss bis heute relevant. 

Geboren 1941 im US-Bundestaat Georgia, sang der Sohn eines Baptistenpredigers schon als Kind im Kirchenchor. 1958 stieg er als Backgroundsänger und Schlagzeuger in die Begleitband des Rock-’n›-Roll-Sängers Little Richard ein. 1962 veröffentlichte Otis Redding beim kleinen, später legendären Soul-Label Stax Records in Memphis seine erste erfolgreiche Single «These arms of mine». In der Folge wurde er musikalisch zur besten Visitenkarte des Labels und einer der einflussreichsten Soulsänger der 1960er-Jahre.

Unverwechselbare Stimme

Innerhalb von nur zwei Jahren entwickelte Otis Redding einen unverwechselbaren eigenen Stil. Eine Stimme, die zwischen emotionaler Wärme und plötzlich herausbrechender Ekstase problemlos balancieren konnte.

Viele seiner Songs komponierte er selbst, Songs, die heute zu den Klassikern des Soul zählen – darunter «Mr. Pitiful», «I’ve been loving you too long», «Try a little tenderness», und «Respect», der in Aretha Franklins Version (1965) zu einem Manifest für den schwarzen Befreiungskampf und die weibliche Emanzipation wurde.

Otis Redding überzeugte auch bei seinen Live-Auftritten. Im Frühjahr 1967 unternahm er mit der Stax/Volt Revue eine umjubelte Europa-Tournee, dazu beglückte er mit seiner explosiven Bühnenshow als erster schwarzer Soulkünstler ein weisses Hippiepublikum beim Monterey Pop Festival. Noch ganz berauscht von diesem Erlebnis, überdachte er seine Karrierestrategie und strebte einen musikalischen Kurswechsel an.

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Ein Mann aus Georgia

Redding beschäftigte sich zu dieser Zeit intensiv mit dem «Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band»-Album der Beatles (1967) und suchte bewusst einen Zugang zum gesamten, musikinteressierten Amerika. Er machte sich an die Komposition von «(Sittin› on) the dock of the bay». Die Idee dazu hatte der damals 26-Jährige bei einem Aufenthalt auf einem Hausboot in Sausalito, an der Bucht von San Francisco. Er musste sich bei einer Operation Stimmbandpolypen entfernen lassen und durfte mehrere Wochen nicht singen oder sprechen. Danach klang er noch besser.

Er schrieb ein paar wenige Zeilen des Liedes («I watch the ships come in and I watch them roll away again»).

Zurück in Memphis, meldete er sich bei Steve Cropper, dem Produzenten von Stax Records. Cropper spielte ausserdem Gitarre in der Studioband von Stax, Booker T. & the MGs. Zusammen schrieben die beiden den weiteren Text und fügten Harmonien und Melodien dazu ‒ diese Arbeitsweise hatte sich in den vorangegangenen Jahren bewährt. Statt sich wie üblich an den Themen Liebe und Drama abzuarbeiten, versuchten sie sich nun an der Geschichte eines jungen Mannes aus Georgia, der an der Küste Kaliforniens sein Glück sucht.

«(Sittin› on) the dock of the bay» handelt von Arbeitslosigkeit und Depression, von Migration und Isolation.

I left my home in Georgia
And I headed for the Frisco Bay
‹Cause I’ve got nothin› to live for
Looks like nothin’s gonna come my way, so

Ich hab mein Zuhause in Georgia zurückgelassen
Und bin an die Bucht von San Francisco gefahren
Denn es gab nichts, wofür es sich zu Leben gelohnt hätte
Und es sah auch nicht danach aus, dass sich was ergeben würde

So, I’m just gon› sit on the dock of the bay
Watchin› the tide roll away, ooh
I’m sittin› on the dock of a bay
Wastin› time

Also werde ich einfach weiter am Hafenbecken der Bucht sitzen
Und dem Spiel der Gezeiten zuschauen
Ich sitze am Hafenbecken der Bucht
Und vertrödle die Zeit

Looks like nothing’s gonna change
Everything still remains the same
I can’t do what ten people tell me to do
So I guess I’ll remain the same, listen
Sittin› here resting my bones

Sieht so aus, als ob sich nichts ändern würde
Alles bleibt so, wie es ist
Ich kann nicht auf das Wort von zehn verschiedenen Leuten hören
Also schätze ich mal, bleibt bei mir auch alles so, wie es ist
Ich sitze hier und ruhe meine Knochen aus

Jeder Text beinhaltete in irgendeiner Weise ein persönliches Erlebnis von Otis. In «(Sittin› on) the dock of the bay» hat er sein Ziel beschrieben, raus aus Georgia zu wollen, um in San Francisco täglich Musik machen zu können. Genau das hatte er in seiner Karriere bereits geschafft.

Steve Cropper © Wikipedia

Unfertige Fassung

Am 22. November nahm Steve Cropper mit Otis Redding und der Studioband die erste Version des Songs auf. Am 7. Dezember folgten zusätzliche Einspielungen. Es fehlte noch eine Strophe, die von Redding lediglich gepfiffen wurde. Obwohl der Sänger die endgültige Fassung mit dem fertigen Text zu einem späteren Zeitpunkt aufnehmen wollte, liess der Produzent das Lied so stehen.

Cropper war sich sicher, dass diese Melancholie den Menschen gefallen wird und besser passen würde, als eine weitere Strophe durch jemand anderes singen zu lassen. Einen Tag später verliess der Musiker Memphis für weitere Konzerte. Am 10. Dezember 1967 starb Otis Redding bei einem Flugzeugabsturz im US-Bundesstaat Wisconsin.

Gefühl der Hoffnungslosigkeit

Nach seinem Tod mischte Steve Cropper den Song ab und fügte Wellen- und Mövengeräusche dazu. Die Single «(Sittin› on) the dock of the bay» kam im Januar 1968 heraus und wurde ein Welthit. Sie war die erste posthume Nummer-1-Single in der Geschichte der US-Musikcharts.

Atmosphärisch spiegelte die melancholische Stimmung des Songs auch die Gemütslage vieler Schwarzer in den USA der späten 1960er-Jahre.

Auch für die US-amerikanischen Soldaten im Vietnamkrieg schien der Song eine grosse Rolle zu spielen. Hoffnungslosigkeit war für sie ein sehr präsentes Gefühl.

© Claudia Herzog

Urs Musfeld alias Musi

Urs Musfeld alias MUSI, Jahrgang 1952, war während 39 Jahren Musikredaktor bei Schweizer Radio SRF (DRS 2, DRS 3, DRS Virus und SRF 3) und dabei hauptsächlich für die Sendung «Sounds!» verantwortlich. Seine Neugier für Musik ausserhalb des Mainstreams ist auch nach Beendigung der Radio-Laufbahn nicht nur Beruf, sondern Berufung.  Auf seiner Website «MUSI-C» gibt’s wöchentlich Musik entdecken ohne Scheuklappen zu entdecken: https://www.musi-c.ch/

Beitrag vom 31.03.2020
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