«Smalltown boy» von Bronski Beat Songs und ihre Geschichten
Mit den Single-Hits «Smalltown boy» und «Why?» sowie dem Album «The Age Of Consent»thematisierte die sich offen schwul bekennende Synthie-Pop Band Bronski Beat 1984 zum ersten Mal in der Popmusik eindeutig die Lebensumstände der Homosexuellen.
Text: Urs Musfeld
Gleich zum Karrierestart im Jahr 1984 gelingt dem in London gegründeten Trio Jimmy Somerville (Gesang), Steve Bronski (Keyboard) und Larry Steinbachek (Perkussion) mit «Smalltown boy» auf Anhieb ein Welthit. Er kommt in jenem Sommer in die Charts, in dem die streikenden britischen Bergarbeiter in einen gewaltsamen Konflikt mit der konservativen Regierung von Margaret Thatcher verwickelt sind.
«Smalltown boy» nimmt Thatchers (seit 2003 aufgehobene) Section 28-Gesetzgebung aus dem Jahr 1988 vorweg, die darauf abzielt, jegliche vermeintliche «Förderung von Homosexualität» in den Schulen und öffentlichen Bibliotheken zu verbieten. Das Schutzalter für homosexuellen Sex liegt in England zu jener Zeit bei 21, also fünf Jahre mehr als beim sogenannten «normalen» Sex.
Noch prägender ist für den in Glasgow aufgewachsenen Sänger Jimmy Somerville die Situation in Schottland, wo bis 1981 schwuler Geschlechtsverkehr illegal gewesen ist.
Musik als Mittel zum Zweck
Der mittlerweile 62-Jährige erinnert sich: «Der Grund, weshalb ich so offen und ehrlich war, lag an meiner Leidenschaft, gegen Diskriminierung anzukämpfen – und ich wusste meine Plattform zu nutzen. Komischerweise würde ich sogar sagen, dass mir meine politischen Anliegen damals wichtiger waren als die Musik. Ich habe die Musik also fast als Mittel zum Zweck genutzt, um meinen Blick auf die Politik, die Liebe und das Leben auszudrücken.»
Nicht zuletzt mit seiner hohen Stimme prägt er ein queeres, von der Heteronorm abweichendes Image. Zu seinem markanten Falsett meint Somerville weiter: «Ich wusste, dass ich diese Stimme habe noch bevor ich anfing zu singen, aber weil ich in dieser Zeit gar nicht mit meiner Sexualität klarkam, und dachte, das klingt nicht maskulin genug, unmännlich, hatte ich ein bisschen Angst.»
«Smalltown boy» erzählt die Geschichte eines Jungen, der sein Schwulsein feststellt, sich von seinen Eltern nicht verstanden fühlt und sie verlässt:
To your soul
To your soul
Cry
Cry
Cry
Der Song beginnt mit einem Elektro-Pop-Puls, schaltet anschliessend einen Gang zurück und nach ein paar Takten hört man Jimmy Somervilles Falsett mit einem langgezogenen, klagenden «cry». Energiegeladenes Tempo leitet über zur eigentlichen Story.
You leave in the morning with everything you own in a little black case
Alone on a platform, the wind and the rain on a sad and lonely face
Morgens gehst du fort
Mit allem, was du besitzt
In einem kleinen schwarzen Koffer
Alleine auf dem Bahnsteig
Der Wind und der Regen
Auf einem traurigen und einsamen Gesicht
Mother will never understand why you had to leave
But the answers you seek will never be found at home
The love that you need will never be found at home
Mutter wird niemals verstehen
Warum du gehen musstest
Doch die Antworten, die du suchst
Wirst du nie zu Hause finden
Die Liebe, die du brauchst
Wirst du nie zu Hause finden
Run away, turn away, run away, turn away, run away
Renne weg, dreh dich weg, renne weg, dreh dich weg, renne weg
Pushed around and kicked around, always a lonely boy
You were the one that they′d talk about around town as they put you down
Herumgeschubst und getreten
Immer ein einsamer Junge
Du warst derjenige
Über den sie in der Stadt redeten
Während sie dich niedermachten
Die Zeilen spiegeln die inneren Konflikte des Protagonisten wider, der sich in einer Umgebung befindet, in der er nicht vollständig akzeptiert, sondern mit Diskriminierung und Hass konfrontiert wird.
And as hard as they would try, they’d hurt to make you cry
But you never cried to them, just to your soul
No, you never cried to them, just to your soul
Und wie sehr sie versuchten
Dich zu verletzten und zum Weinen zu bringen
Aber du weintest nie vor ihnen
Nur zu deiner Seele
Nein, du weintest nie vor ihnen
Nur zu deiner Seele
Mit seiner kraftvollen Botschaft und dem eingängigen Disco-Sound hat «Smalltown boy» nicht nur die Musiklandschaft geprägt, sondern auch dazu beigetragen, die Diskussion über LGBTQ+-Rechte und -Akzeptanz voranzutreiben. Das Lied wird zu einer Hymne für viele Menschen, die ähnliche Umstände durchleben. Es ermutigt sie, für ihre Identität einzustehen und nach einer Gemeinschaft zu suchen, die sie akzeptiert. Ein Song, der aus einer traurigen Geschichte über Homophobie ein optimistisches Thema der Befreiung macht und nach wie vor ein unwiderstehlicher Tanzflächenfüller ist.
Angesprochen auf die Bedeutung von «Smalltown boy» sagt Somerville in einem Interview: «Ich bin mir auch des Einflusses bewusst, den das Lied noch heute auf die jüngste Generation Schwuler hat. Das ist ein emotionaler Schrei des Herzens. Das Stück ist ehrlich und roh, und es hat noch die Macht, Leute zu bewegen. Und dass sich die Leute bewegen, ist so lange wichtig, solange es noch Länder gibt, in denen Leute wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert, gejagt und misshandelt werden.»
Das zugehörige Video – eine fast wortgetreue Visualisierung der Erzählung des Songs – zeigt, wie Somerville von einer homophoben Gang angegriffen und von der Polizei zu seiner Familie nach Hause gebracht wird. Es gipfelt in einem emotionalen Abschied von seiner Mutter – während sein Vater ihm etwas Geld gibt, sich aber weigert, ihm die Hand zu geben. Er scheint weniger entsetzt zu sein vom homophoben Angriff auf seinen Sohn als von dessen queerer Identität.
Allerdings gibt es zumindest im Video ein Happy End: Freunde des Protagonisten steigen in den Zug ein, leisten ihm Gesellschaft und unterstützen seine Flucht aus der intoleranten Provinz.
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Urs Musfeld alias Musi
Urs Musfeld alias MUSI, Jahrgang 1952, war während 39 Jahren Musikredaktor bei Schweizer Radio SRF (DRS 2, DRS 3, DRS Virus und SRF 3) und dabei hauptsächlich für die Sendung «Sounds!» verantwortlich. Seine Neugier für Musik ausserhalb des Mainstreams ist auch nach Beendigung der Radio-Laufbahn nicht nur Beruf, sondern Berufung.
Auf seiner Website «MUSI-C» gibt’s wöchentlich Musik entdecken ohne Scheuklappen zu entdecken: https://www.musi-c.ch/
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