«Where the wild roses grow» von Nick Cave & Kylie Minogue Songs und ihre Geschichten
Musik ist seine Passion. Der charismatische Sänger, Poet und Autor Nick Cave schafft es solo oder mit seiner Band Bad Seeds, über Jahrzehnte weder an Relevanz noch an Intensität zu verlieren. Seine umfangreiche Diskografie wechselt kompromisslos zwischen organischen Balladen und Lärmattacken.
Von Urs Musfeld
Seine Auftritte gleichen Gottesdiensten, sein Habitus dem eines Predigers: Seit den frühen 1980ern infiziert der in England beheimatete 65-jährige Australier die Popmusik mit Abgründigkeit und Düsternis. Alles, was mit Glaube, Religion und Spiritualität zusammenhängt, zieht sich wie ein roter Faden durch seine Songs. Er entwirft eine finstere Bilderwelt zwischen Liebe und Hass, Gott und Teufel. Die Sehnsucht ist ein zentrales Motiv. Religion und Rock’n’Roll sind bei Nick Cave dasselbe: Teil der Praxis, die grossen Themen der Menschheit durch ebenso grosse Posen, Erzählungen und Mythen begreifen zu wollen.
Seine jahrzehntelange Drogenabhängigkeit überwindet Cave erst durch die Liebe seiner jetzigen Frau Susie Bick, mit der er seit über 20 Jahren zusammen ist.
Nick Cave studiert in Melbourne Kunst und gründet 1976 zusammen mit zwei Schulkollegen die Band Boys Next Door. 1980 ziehen sie nach London, nennen sich The Birthday Party und hoffen auf ihren künstlerischen Durchbruch. Ihre wilde Mischung aus Punk Blues und Rock stösst in der englischen Independent-Szene auf Interesse. Die Reise geht weiter in das damalige Musik-Mekka West-Berlin. Dort formiert Nick Cave 1983 nach der Auflösung von The Birthday Party die Band The Bad Seeds. Sie begleitet ihn in unterschiedlicher Besetzung bis heute. Nick Cave wird vom Geheimtipp zum Independent-Rockstar.
1996 schaffen es Nick Cave & The Bad Seeds mit ihrem 9. Album «Murder Ballads» zum ersten grossen, internationalen Erfolg. Jeder Song ein Verbrechen, erzählt wie der Soundtrack zu den Bildern des Tatorts, wie ein musikalischer Thriller. Cave bildet die unterschiedlichen Stimmen der verschiedenen Charaktere ab, spielt mit Pausen und hat ein gutes Timing für Schockmomente.
Das Album reiht sich ein in eine lange Tradition mörderischer Moritaten, die bis auf das 15. Jahrhundert zurückgeht, verbreitet durch Barden. Diese Balladen sind ebenso humorvoll wie grauenhaft – sie sind der Inbegriff schwarzen Humors.
Mörderballaden erzählen in typisch ironisierender und wertfreier Weise, wer das Opfer ist und warum der Mörder sie oder ihn umbringt – manchmal aus der Sicht des Opfers, manchmal aus einer sympathisierenden Sicht des Mörders.
Ungewöhnliche Kombination
Geschichten von schönen gefallenen Mädchen, von Trauernden, Hoffenden und von ruchlosen Mördern sind viel besungen worden und sind auch ein wichtiger Teil der angloamerikanischen Songtradition. Ein paar dieser drastischen Balladen («Stagger Lee», «Henry Lee»), ursprünglich von englischen Einwanderern überliefert, hat Nick Cave für sein Album intensiv vertont und neue dazuerfunden, darunter «Where the wild roses grow», schön-schaurig eingespielt im Duett mit Kylie Minogue.
Eine ungewöhnliche Zusammensetzung: Während Nick Cave sich im Genre des Alternative-Rock bewegt, ist Kylie Minogue bis zum Zeitpunkt der Aufnahme des Songs deutlich dem Mainstream-Pop verhaftet.
Cave sagt zur Zusammenarbeit mit seiner australischen Landsfrau: «Ich wollte seit vielen Jahren einen Song für Kylie schreiben. Es war sechs Jahre lang eine richtige Obsession von mir. Ich hatte mehrere Songs geschrieben, von denen ich bei keinem das Gefühl hatte, dass er gut genug war für sie.»
Als Inspiration dient ihm die Mörderballade «Down in the willow garden» aus den Appalachen, ein fiktiver Dialog zwischen dem Mörder und seinem Opfer, geschildert in der Retrospektive (gewissermassen aus dem Jenseits):
They call me The Wild Rose
But my name was Elisa Day
Why they call me it I do not know
For my name was Elisa Day
Sie nennen mich die Wilde Rose
Aber mein Name war Elisa Day
Warum sie mich so nennen, weiss ich nicht
Denn mein Name war Elisa Day
Erzählt wird in einem Handlungszeitraum von drei Tagen das Zusammenfinden zweier Liebender:
From the first day I saw her I knew she was the one
She stared in my eyes and smiled
For her lips were the colour of the roses
That grew down the river, all bloody and wild
Seit dem ersten Tag sah ich sie und wusste, sie war diejenige
Sie starrte in meine Augen und lächelte
Ihre Lippen hatten die Farben der Rose
Welche unten am Fluss wuchsen, alle blutig und wild
In der nächsten Strophe wird die noch unschuldige Sexualität von Elisa erwähnt:
When he knocked on my door and entered the room
My trembling subsided in his sure embrace
He would be my first man, and with a careful hand
He wiped at the tears that ran down my face
Als er an meine Tür klopfte und den Raum betrat
Hat mein Zittern nachgelassen in seiner festen Umarmung
Er würde mein erster Mann sein, und mit vorsichtiger Hand
Strich er die Tränen weg, die über mein Gesicht herunterliefen
Nachdem er Elisa gefragt hat, ob sie ihm zu den wilden Rosen folgen würde, nimmt er sie am dritten und letzten Tag mit zum Fluss. Der Tathergang als Akt der Gewalt und des Tötens wird nur angedeutet durch die Worte des Opfers:
Am On the third day he took me to the river
He showed me the roses and we kissed
And the last thing I heard was a muttered word
As he knelt above me with a rock in his fist
Am dritten Tag nahm er mich zum Fluss
Er zeigte mir die Rosen und wir küssten uns
Und das letzte, was ich hörte, war ein gemurmeltes Wort
Als er über mich kniete mit einem Stein in seiner Faust
Dass es sich um ein Abschiedsszenario oder -ritual handelt, wird ebenso nur indirekt mitgeteilt, indem der Mörder die Beziehung mit der Rose als Symbol der Liebe und Schönheit als letztem Geschenk beendet:
On the last day I took her where the wild roses grow
And she lay on the bank, the wind light as a thief
And I kissed her goodbye, said, «All beauty must die»
And I lent down and planted a rose ‹tween her teeth
Am letzten Tag nahm ich sie mit zum Ort, wo die wilden Rosen wachsen
Und sie lag am Ufer, der Wind leicht wie ein Dieb
Und ich küsste sie zum Abschied und sagte: «Alle Schönheit muss sterben.»
Ich beugte mich hinunter und legte eine Rose zwischen ihre Zähne
Die zentrale Zeile «Alle Schönheit muss sterben» verweist auf das eigentliche Thema des Liedes: Die Schönheit und das Sterben in Schönheit bzw. das Morden zur Konservierung von Schönheit.
Nick Cave zeigt sich einmal mehr als begnadeter Geschichtenerzähler. «Where the wild roses grow», vorab als Single-Auskopplung erschienen, wird zum unerwarteten Hit und bringt ihn weltweit in die Charts und ins Musikfernsehen.
Das Video zum Song macht Furore. Kyle Minogue dümpelt als traumschöne Wasserleiche in einem Teich, während Cave am Ufer hingebungsvoll davon singt, wie er sie mit einem Stein erschlagen hat.
Cave hat seinen Platz in der Rockkultur gefunden. Er bedient ein eingefleischtes Publikum, das kontinuierlich wächst. Er ist ein Kritikerliebling und geniesst hohes Ansehen unter Kolleg*innen. Neben dem beruflichen Erfolg muss der 65-jährige immer wieder private Tragödien wegstecken. Den Tod seiner beiden Söhne verarbeitet er in seiner Musik und seinen Texten.
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Urs Musfeld alias Musi
Urs Musfeld alias MUSI, Jahrgang 1952, war während 39 Jahren Musikredaktor bei Schweizer Radio SRF (DRS 2, DRS 3, DRS Virus und SRF 3) und dabei hauptsächlich für die Sendung «Sounds!» verantwortlich. Seine Neugier für Musik ausserhalb des Mainstreams ist auch nach Beendigung der Radio-Laufbahn nicht nur Beruf, sondern Berufung.
Auf seiner Website «MUSI-C» gibt’s wöchentlich Musik entdecken ohne Scheuklappen zu entdecken: https://www.musi-c.ch/
Ein «begnadeter Geschichtenerzähler» berichtet über den Mord an einer jungen Frau, verbrämt als Dienst an der Schönheit, die vergangen wäre, wenn er sie am Leben gelassen hätte. Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland alle 3 Tage eine Frau von einem Mann umgebracht wird, würde ich erwarten, dass Sie diesem Song – bei aller Wertschätzung von Nick Cave – doch eine kritische Beurteilung angedeihen lassen. Derartig apologetisch den Frauenmord nicht zu kommentieren, ist – mit Verlaub – schwer erträglich. Nick Cave romantisiert ohne jeden Zwischenton diesen Mord, indem er «schöne» Sprachbilder findet: er «planted a rose ‹tween her teeth» heißt ja im Klartext, dass er so zugeschlagen hat, dass ihr Gesicht blutüberströmt zurückbleibt. Schrecklich, wie Sie diese Romantisierung legitimieren.
Toller Artikel, mit viel Kompetenz und Liebe zur Musik geschrieben, Klasse! Ich liebe Nick Cave. Das Thema Sexualmoral vergällt mir den Song leider, was mir einerseits leidtut, andererseits habe ich aufgrund meiner eigenen Geschichte überhaupt keine Toleranz für das Thema Vergewaltigung. Deswegen höre ich lieber seine anderen Sachen.