Ein Blick in die Zukunft
Anfang Juni präsentierte Apple verschiedene Neuheiten. Das Hauptinteresse galt der Augmented-Reality-Brille Vision Pro, die das Potenzial hat, eine neue Computerära anzukündigen und Menschen mit schweren körperlichen Behinderungen einen neuen Zugang zur digitalen Welt zu bieten.
Von Marc Bodmer
Am 5. Juni hat Apple Neuheiten vorgestellt. Dazu gehörte das superschlanke Laptop Macbook Air mit einem 15-Zoll-Bildschirm. Es ist nicht nur – gemäss Apple – der schnellste Computer seiner Kategorie, sondern mit 11,5 mm der dünnste und wiegt blosse 1,5 kg. Darüber hinaus wurden verschiedene Software-Neuerungen und -Verbesserungen präsentiert – doch all das verblasste neben dem Schlussbouquet der Entwickler-Konferenz: der Augmented-Reality-Brille Vision Pro.
Seit 2015 heisst es, dass Apple an dieser Technologie arbeitet, aber nie bekam man etwas von dieser Brille zu sehen. In der Zwischenzeit legten diverse Konkurrenten wie Meta, Microsoft und HTC neue Virtual- und Augmented-Reality-Brillen vor, doch das Interesse an diesen hält sich im überschaubaren Rahmen. Daran ändern grossspurige Ansagen von Meta-Chef Mark Zuckerberg zum Metaversum nichts. Nur wenige Monate danach hat der Facebook-Erfinder 11’000 Mitarbeitende entlassen, was über einem Achtel der Firmenbelegschaft entspricht.
Formen der digitalen Realität
Kurz zu den Begriffen: Während man bei Virtual Reality (VR) seiner Umwelt gegenüber faktisch taub und blind ist, wird bei Augmented Reality (AR) die Umgebung mit computergenerierten Informationen überlagert und ergänzt. Das kann alles sein – von diskreten Einblendungen wie dem Namen eines Berggipfels oder einem kleinen Monster wie im Computerspiel «Pokémon Go» bis hin zu einer Vielzahl von Bildschirmen, die sich bearbeiten lassen oder einer das Blickfeld füllenden «Leinwand» für ein Kinoerlebnis der Sonderklasse.
Besonders die Arbeitsanwendungen von Vision Pro offenbarte ein Potenzial, das weit über die gängige Unterhaltungsdimension hinausreicht, die bei VR-Brillen im Vordergrund steht. Denn im Vergleich zu den Konkurrenzprodukten benötigt Apples AR-Technologie keine Controller, die in den Händen gehalten und mit ihnen bedient werden. Gesteuert wird Vision Pro durch eine präzise Augenverfolgung. Wer beispielsweise ein App öffnen möchte, lässt den Blick auf dieser verharren. Zur Bestätigung werden Daumen und Zeigfinger kurz zu einem Kreis geschlossen und schon öffnet sich das Programm. Natürlich können Befehle auch gesprochen werden.
Das grosse Potenzial
Diese Technologie verfügt über ein grosses Potenzial, wenn es um die Inklusion von körperlich schwerstbehinderten Personen geht. Sie können sich einen virtuellen Arbeitsplatz einrichten, dessen Bedienung ohne weitere Instrumente auskommt. Selbstverständlich können Tastaturen mit der revolutionären Technologie verbunden werden, was die Erstellung von schriftlichen Dokumenten erleichtert.
Die Verantwortlichen des kalifornischen Technologiekonzerns sprechen von einem Moment, der vergleichbar sei mit der Einführung des iPhones. Wie damals hat man den Eindruck, dass sich die Innovation an einem kleinen Ort befindet. Denn schon vor 16 Jahren gab es viele der Elemente, die Apples Smartphone auszeichnen, bereits auf anderen Geräten. Doch der verstorbene Chef Steve Jobs und sein Team verstanden es, diese so zu verbinden, dass das Benutzererlebnis unvergleichlich war und nach wie vor ist. Weltweit kommunizieren über 1,6 Milliarden Menschen mit iPhones.
Erinnerungen an das iPad werden auch wach. Bei dessen Einführung stellten sich viele die Frage: Brauche ich das? Persönlich mag ich das iPad Mini nicht missen, das sich als hervorragendes Lesegerät für digitale Zeitungsausgaben und Spielplattform etabliert hat.
Der Preis und andere Hürden
Doch was ist von Vision Pro zu erwarten? Als erstes muss sie beweisen, dass sie das Sperrige bisheriger VR- und AR-Brillen und -Programme wegzaubern kann. Ob sie dazu in der Lage ist, wird sich im kommenden Jahr zuerst einmal in den USA zeigen. Wann die Brille in der Schweiz erhältlich sein wird, steht zurzeit noch nicht fest. Klar ist aber eins, und das wird eine weitere Hürde auf dem Weg in den Massenmarkt sein: Vision Pro wird teuer sein, sehr teuer sogar. In Amerika wird die AR-Brille für $ 3500 auf den Markt kommen. Ein stolzer Preis, der aber durch die wegweisende Technologie wohl grösstenteils gerechtfertigt wird.
Der tragbare Computer und der dafür entwickelte R1-Chip verarbeitet Informationen von 12 (!) Kameras, 5 Sensoren und 6 Mikrophonen, die in die Vision Pro eingebaut sind. Die Displays verfügen pro Auge über eine höhere Auflösung als ein 4K-Bildschirm. Weiter hat Apple gemäss ihrer Präsentation über 5000 Patente in Zusammenhang mit der Entwicklung der Brille angemeldet. Und: Viele Produkte von Apple sind hochpreisig, aber im Vergleich zur Vision Pro wissen wir, was wir von einem iPhone 14 Pro Max oder einem Hochleistungs-Laptop erwarten können. Die Welt des sogenannten «spacial computing», des räumlichen Computer-Arbeitsplatzes, wie sie die Vision Pro in Aussicht stellt, müssen wir zuerst kennenlernen.