Bremgarten kennt das Savoir-vivre
Bremgarten im Aargau ist bekannt für seine Märkte. Beim Besuch zeigt sich die Stadt an der Reuss auch als entspannter Mikrokosmos der Lebenskunst.
Text: Fabian Rottmeier
Autobahnen und Flüsse: Über den Kanton Aargau gibt es nichts weiter anzufügen, denken viele. Doch wer durch Bremgarten spaziert und das Gespräch sucht, wird schnell eines Besseren belehrt! Allein schon die weitgehend autofreie Altstadt, deren Eingang neben der Bahnhaltestelle Bremgarten Obertor liegt und die als «Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung» gilt, strahlt eine Gemütlichkeit und Ruhe aus, die ansteckend ist. «‹S Städtli› hat einen Charme, dem ich sofort erlegen bin», sagt Biggi Winteler, eine Zürcherin, die dort einen Heilstein-Schmuckladen betreibt. Sie weist darauf hin, dass keiner der 30 Altstadtläden einer Ladenkette angehört. Es sind alles Fachgeschäfte. Dabei eröffnete hier 1865 die Familie Dosenbach ihren ersten Schuhladen …
Die «Lädeli» passen zur Atmosphäre des historischen Stadtteils. Am vielleicht besten lässt sich dieses Offene und Familiäre im Café Spatz an der Marktgasse – der Hauptgasse der Altstadt – erleben. Das «wohl kleinste Kaffee- und Gästehaus schweizweit» (Eigenzitat) hat drei Tische und einen Kachelofen. Neue Gäste müssen alleine schon wegen der winzigen Stube schmunzeln.
Die Holzbrücke ist zum Markenzeichen geworden
Die Hauptgasse der Altstadt dreht unweit des «Spatz» links weg und fällt steil zur Reuss ab. Wer dann vor der prächtigen Holzbrücke steht, kann entweder rechts in den unteren Teil der Altstadt abbiegen und sich den imposanten, schmucken Kirchenbezirk anschauen. Oder man folgt links dem Reussweg und sieht beim «Fällbaum», dem oberen Wehr, je nach Wasserstand vielleicht einem Kajakfahrer beim Wellentanz zu. Die dritte Option: geradeaus weitergehen und die Holzbrücke betreten, in deren Mitte sich zwei kleine Kapellen gegenüberstehen.
Ein erster Übergang wurde im 13. Jahrhundert erbaut und war im Mittelland zwischen Boden- und Genfersee lange eine der wenigen Möglichkeiten, auf direktem Weg von Ost nach West zu gelangen. So kam auch der Markt ins Freiämter Städtchen. Rund 200 000 Leute strömen jährlich zu den Märkten an Ostern, Pfingsten, zur Weihnachtszeit und zum Handwerkermarkt im Herbst. Stadträtin Monika Briner ist überzeugt, dass die 800-jährige Markttradition und die vielen Gäste ihre Spuren hinterlassen haben: «Die Einheimischen sind sehr offen. Es ist fürs Mittelland unüblich, wie schnell man hier angesprochen wird.» Während die Märkte den Alltag des 8000-Seelen-Ortes nur temporär prägen, ist die Reuss allgegenwärtig. Das Gebiet der Altstadt wird an drei Seiten umflossen – die Vogelperspektive erinnert an die Berner Aareschlaufe.
In Bremgarten weiss man offenbar schon lange, wie gut die Reuss der Seele tut. 1822 entstand die Reusspromenade. Eine Infotafel preist sie als «frühes und prominentes Beispiel für eine moderne, öffentliche Anlage» an. Sie beginnt unterhalb der Eisenbahnbrücke und lädt flussaufwärts zum Flanieren ein. Die Bäume des Waldstücks spenden Schatten. Heilsteinexpertin Biggi Winteler sagt: «Ich liebe diesen Abschnitt, das Rauschen der Reuss. Es ist ein Ort, der mich erdet.» Es gebe nicht viel Schöneres, als dort an einem Sonntag ein Buch zu lesen.
Auf der anderen Reussseite wartet ein Bilderbuchpanorama
Stadträtin Monika Briner schwärmt von den Sitzbänken auf der anderen Flussseite. Wer die Holzbrücke überquert hat, kann sich beim Casino ans Ufer setzen – und das Bilderbuchpanorama geniessen: die Brücke, das rauschende Wasser des Doppelwehres, ein steiler Anstieg dahinter, die Altstadtfront samt Türmchen des Muriamthofs. Die unterschiedlich hohen Häuser sehen fast aus wie eine Familie, die sich für die Postkarte des Tourismusvereins nebeneinander aufs Foto presst. Fast ebenso faszinierend der Blick von der Gegenseite auf der beliebten Terrasse des Hotels Stadthof.
Auch die Altstadt hat eine lauschige, etwas versteckte Perle: die Gartenlaube zum Zeughausgarten. Gleich drei Gesprächspartner erwähnen den Ort mit der kleinen Wiese und den Bäumen. Er liegt beim Schellenhausplatz und kann über die Rokoko-Türe am Ende einer Treppe betreten werden. Rolf Meyer, der in der Altstadt ein traditionsreiches Modegeschäft betreibt, mag diesen Ort: «Dort drin sitzt man und vergisst die Welt um sich herum.»
Bremgarten ist überschaubar. Ein Pragmatiker kann sich die Altstadt in einer halben Stunde ansehen, eine Geniesserin mit Vorliebe für Cafés und Lädeli in einem halben Tag. Verlaufen wird sich niemand, zu klein ist die Altstadt dafür. Geschichtsinteressierte können sich in den Kurztexten der Broschüren «Bremgarten entdecken und erleben» und «Historischer Stadtrundgang» verlieren. Im Haus zum Rehbock, am Ende der Marktgasse, steht denn auch hoch auf einem Girlandenfries: «Carpe diem». Geniesse den Tag. ❋
Drei Ausflugstipps ab Bremgarten
- Reusspromenade, 45 Minuten: Spaziermeile entlang des Reussufers bis zum Stauwehr und der Emmaus-Kapelle.
- Naturprojekt Hegnau, 90 Minuten: Wanderweg auf der linken Flussseite zur renaturierten Auenlandschaft mit Teichen, Stillgewässern und Holzbänken zum Verweilen.
- Reussweg zum Flachsee in Rottenschwil, 3 Stunden: Uferwanderweg zum Ende des rund 1,4 Kilometer langen Stausees. Ein Paradies für Vogelfreunde.
- Eine Übersicht mit weiteren Tipps gibts hier.
Informationen
Stadtführungen und Broschüren: Bremgarten Tourismus, www.bremgarten-tourismus.ch, Telefon 056 648 33 33
Vom 26. bis 29. Juni findet das 1. Reuss Food Festival statt (beim Casino, der Badstrasse entlang). Mehr Infos gibts hier.
Die nächsten Marktdaten: Historischer Markt («Markt der Vielfalt») am 26. und 27. Oktober 2019, Weihnachtsmarkt vom 5. bis 8. Dezember 2019, Ostermarkt am 13. April 2020, Pfingstmarkt am 10. Juni 2019