Das Erbe des Gummibaumes
Wahrscheinlich stammt unser Gartenautor aus den Tropen. Seine Urahnen wurden böswillig nach Europa verschleppt. An kaltnassen Wintertagen vermisst er seine warme, sonnige Heimat besonders. Im Niesel würde er seinen Hobbygarten jederzeit gegen einen Dschungel eintauschen.
Text: Roland Grüter
Die Frage nach der exakten Herkunft treibt viele Menschen um: Woher stamme ich, auf welche Urahnen gehe ich zurück? Um taugliche Antworten zu finden, werden in Amerika aktuell zuhauf DNA-Tests (Kostenpunkt: ab 60 Dollar) eingesetzt. Interessierte stecken sich hierfür Wattestäbchen in den Mund und schicken diese samt «Spoizz» in spezialisierte Labors. Deren Analysen sollen klären, in welchen Ländern die Wurzeln der Absenderinnen und Absender liegen.
Längst hat der Trend auch Europa erreicht – und damit auch meinen Freundeskreis. Der Test einer Freundin ergab, dass deren Genetik von Ungarn und Graubünden dominiert wird. Das ist durchaus erklärbar, denn die Grosseltern der Freundin stammen aus Budapest und aus einem Dorf im Prättigau. Woher aber die verbleibenden 21 Prozent herrühren, die auf die iberische Halbinsel verweisen, ist unklar. Um dieses Rätsel zu lösen, steht die Multikulti-Frau mit ihrer Mutter gerade in engem Austausch – zumal der iberische Anteil bei der Schwester fehlt. Die DNA-Tests werfen hier mehr Fragen auf, als sie Antworten liefern. Noch ist unklar, ob das Labor gepfuscht oder ob ein heisser Spanier die Genetik mitgeprägt hat. Eine zweite Testrunde soll Klärung schaffen.
Neugierig wie ein Sperberbaum
Höchstwahrscheinlich finden sich in meiner Genetik Spuren von Gummibäumen, Mahagoni oder Mangroven. Das zumindest würde meine Faszination an tropischen Urwäldern und jenen Ländern erklären, in denen es rund ums Jahr heiss und feucht ist. Der Sperberbaum ist in meiner DNA wohl ebenfalls gut vertreten. Woher sonst sollte meine Neugier stammen? Eben.
Ich bin mir sicher: Vor Millionen Jahren wurden meine Ahnen in einem Land am Äquator geboren und als Babys von den grünen Bewohnerinnen des Dschungels verschleppt. Lianen spannten sich schützend über deren Wiege, die Pflanzen fütterten sie mit Honigfrüchten, warfen Knallzapfen nach allfälligen Feinden und lehrten meinen Vorfahren das ABC der Botanik, worauf mein Faible für den Hobbygarten zurückgeht. Gewiss wurde die Wiege von bösen Eroberern entdeckt und nach Europa verschleppt, in die Alpen.
Mein Ururururgrosi und Ururururopa begründeten daraufhin ihre Schweizer Familien-Bande. Und in Erinnerung an die ferne Heimat legten sie hierzulande Urwälder an. Daran erinnern einzig noch der Fichten-Tannenurwald von Derborence im Kanton Wallis und der Fichtenurwald Scatlè im Kanton Graubünden. Die beiden Begründer aber gingen vergessen. Ihr Erbe aber lebt in meiner Genetik weiter und lässt mich nach ständiger Sonne und Wärme sehnen, wie man sie rund ums Jahr um den Gürtel der Erde findet.
An Tagen wie diesen, an denen sich der Herbst zusehends zum Winter wandelt, blicke ich besonders wehmütig Richtung Äquator. Dort müsste ich nicht in der Bibberkälte stehen und auf den Bus warten. Ich könnte mit den Dschungel-Zieheltern meiner Vorgänger den ewigen Sommer feiern, das Fest wäre bombastisch. Denn von den weltweit 250 000 bekannten Pflanzenarten wachsen zwei Drittel in tropischen Regenwäldern. Ich würde sie alle zu meiner Party einladen.
Der Wienerli-im-Schafrock-Look
Stattdessen aber stehe ich im Niesel und friere. Am liebsten würde ich Schnee und Frost verschlafen und erst im nächsten Frühjahr wieder erwachen, so wie es die Pflanzen in meinem Hobbygarten tun. Das ist leider nicht möglich. Also muss ich mir einiges einfallen lassen, um der Nasskälte zu trotzen. Ich packe mich von Kopf bis Fuss ein, bis ich wie ein Wienerli im Schlafrock aussehe. Egal, Hauptsache warm.
Ein anderes Mittel gegen Wind und Wetter ist übrigens Glühwein. Auch dieser hält Winterfröstler warm. Nach dem zweiten, dritten Glas führt mich dieser überdies zurück zu meinen Wurzeln. Denn leicht beschwipst lässt sich besonders gut träumen, von der Sonne, Wärme und all den Gummibäumen, Mahagoni oder Mangroven im Tropenwald.
DNA-Tests überlasse ich folglich lieber anderen. Sonst schicken mich die Gene womöglich in die Wüste.
Der Gartenpöstler
Roland Grüter (62) ist leidenschaftlicher Hobbygärtner und folgt strikt den Regeln des Bio-Gärtnerns. Heute lebt er in der Nähe von Zürich und hegt und pflegt einen kunterbunten, wilden Blumengarten. Roland Grüter schreibt an dieser Stelle regelmässig über seinen Spass und seine Spleens im grünen Bereich.
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