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Willkommenskultur im Garten

Der Ruf nach hiesigen Pflanzensorten wird lauter. Nur: Welches Grün ist damit genau gemeint? Unser Gartenpöstler macht sich auf eine Spurensuche, die bis in die letzte Eiszeit zurückführt.

Sie erinnern sich bestimmt noch an die Diskussionen um die Willkommenskultur. Darin wurde europaweit gestritten, ob und wie herzlich Zuwanderer aus anderen Ländern empfangen werden sollen. Politik und Bevölkerung waren sich in diesen Fragen oft uneinig. Skeptikerinnen und Skeptiker fürchteten um ihre Renten, um ihre Arbeitsplätze, ja sogar um ihr Leben. Und verschlossen ihre Herzen und Türen vor den Fremden, die da anklopften. 

Auch im Hobbygarten ist die Willkommenskultur ein ewig währendes Thema, und auch in diesem Bereich gehen die Meinungen weit auseinander. Befeuert werden sie aktuell von der berechtigten Sorge um die Biodiversität. Vor allem das Sterben der Insekten hält Naturfreunde dazu an, heimische vor «fremde» Pflanzen zu stellen. Denn viele Spezies sind auf hiesige Wildstauden angewiesen, wollen sie überleben. Deshalb verlangen mittlerweile private Bauherren und öffentliche Gemeinden mitunter nach Bepflanzungskonzepten, die konsequent auf die hiesige Flora ausgerichtet sind. Was durchaus Sinn macht, denn Parks und Privatgärten leisten einen wichtigen Beitrag, um die Artenvielfalt zu erhalten. 

eine grosse Sonnenblume bei Sonnenschein vor blauem Himmel
Sonnenblumen stammen ursprünglich aus Amerika © Courtney Cook/ unsplash

Nur: Selbst sachkundige Biologinnen und Biologen sind sich unschlüssig, wo genau die Grenze verläuft, die heimisches von fremdem Grün trennt. Manche gehen in der Definition in die letzte Eiszeit vor etwa 12’000 Jahren zurück, als die Flora in Mitteleuropa mit etwa 1000 Arten noch übersichtlich war. Andere beziehen sich auf die Invasion der Römer, die auf ihren Kriegszügen viele Arten mitnahmen und deren Verbreitung vorantrieben. Und wieder andere beziehen sich auf die Entdeckung Amerikas im Jahr 1492, die den Handel mit Gemüse- und Staudenarten interkontinental machte. Wie gross der zeitliche Spielraum ist, zeigt allein die Definition der Neophyten. Die schweizerische Kommission für die Erhaltung von Wildpflanzen bezeichnet damit Stauden, Büsche und Bäume, die nach 1500 in die Schweiz eingeführt wurden. Dazu zählt beispielsweise auch die Sonnenblume, die erst 1596 aus Amerika nach Europa verschifft wurde. Auch sie ist, strenggenommen, ein fremder Fötzel. Und müsste folglich aus «heimischen Bepflanzungen» verbannt werden. 

Was ist fremd, was heimisch?

In Deutschland versucht man die Frage gesetzlich zu lösen: Das am 29. Juli 2009 revidierte Bundesnaturschutzgesetz fordert, dass aktuell nur noch Pflanzen in der freien Natur ausgebracht werden dürfen, deren genetischer Ursprung im betreffenden Herkunftsgebiet liegt. Dafür wurde Deutschland in überschaubare Herkunftsgebiete aufgeteilt. Genetische Untersuchungen aber zeigten, dass Herkunftsgebiet und Genetik der darin ansässigen Pflanzen bei weitem nicht immer übereinstimmen. Untersuchungen an Hundsrosen beispielsweise ergaben, dass einzelne Pflanzen gewisser Regionen untereinander weniger eng verwandt waren als mit solchen aus der Türkei, Algerien oder Spanien. Was zeigt: In vielen Pflanzen herrscht längst ein genetisches Kuddelmuddel. Das macht eine regionale Zuweisung schwierig. Plötzlich wird das Fremde urschweizerisch.

Der Ruf nach heimischem Flor ist nicht neu. Er klang bereits in den 1970er-Jahren durch das Land, als die Naturgartenbewegung begründet wurde. Drei Jahrzehnte zuvor waren entsprechende Diskussionen sogar politisch aufgeladen, Nazis schlossen selbst Pflanzen in ihre Propaganda ein. Nationalsozialist Josef Pertl, der von 1935 bis 1945 Stadtgartendirektor von Berlin war, diffamierte beispielsweise den Einsatz ausländischer Pflanzen in der Gartenarchitektur als «entartete» Gartenkunst. Er schrieb 1939: «Die kulturellen Schaumschläger waren es, die das Volk einmal anlernten, nur noch nach exotischen Reizen zu jagen und die heimischen und bodenständigen und daher wirklichen Werte geringschätzend beiseitezuschieben. Vom Exotischen bis zum gänzlich Abnormen ist aber nur noch ein ganz kleiner Schritt, und tatsächlich sind wir auch durch den Exotenfimmel in eine wahre Abnormitätspsychose verfallen, von der wir noch lange nicht geheilt sind.»

Das Pamphlet des Berliner Gartendirektors ist lächerlich. Denn erstaunlich viele Pflanzen, die wir als heimisch erachten, sind Immigranten. Polenta-Mais beispielsweise stammt ursprünglich aus Amerika, Röstikartoffeln aus Peru und die vermeintlichen Aargauer Rüebli aus Afghanistan. Sie sind nicht unseren Schollen entsprungen, wie viele glauben. Der Mensch hat sie importiert, die Verbreitung entsprechender Arten buchstäblich in die Hand genommen und turbomässig beschleunigt. Denn das naturgegebene Tempo, mit dem Pflanzen neue Reiche erobern, ist weit gemächlicher. Waldföhren weisen Wandergeschwindigkeiten von 1.5 bis 2 km pro Jahr auf – und gehören damit zu den Sprintern des Pflanzenreiches. Alle anderen sind langsam. 

Schmetterlingsflieder – ein Opfer von Rassenhass?

Diskussionen um das «Hier» und «Dort», um «fremd» und «heimisch», sind folglich meist müssig: aggressive Neophyten ausgeschlossen, die sich in freier Natur ungehemmt verbreiten und damit andere Pflanzen verdrängen. Die Politik denkt darüber nach, entsprechende Arten zu verbieten. Dazu zählt unter anderem auch der Schmetterlingsflieder, der oft aus Gärten ausbüxt und beachtliche Landstriche besiedelt. Doch selbst dieser kleine Kreis der Aggressoren wird unterschiedlich diskutiert. Manche sehen den Blühstrauch aus China als Bedrohung, andere als Opfer von Rassenhass.   

Der Gartenpöstler

Roland Grüter, Gartenkolumnist der Zeitlupe

© Jessica Prinz

Roland Grüter (61) ist leidenschaftlicher Hobbygärtner und folgt strikt den Regeln des Bio-Gärtnerns. Heute lebt er in der Nähe von Zürich und hegt und pflegt einen kunterbunten, wilden Blumengarten. Roland Grüter schreibt an dieser Stelle regelmässig über seinen Spass und seine Spleens im grünen Bereich.

Beitrag vom 28.04.2022
  • Roland Grüter sagt:

    Das kann ich sehr gerne machen. Danke für den Hinweis.

  • Isabelle A. Passanah sagt:

    In der Fortsetzung freue ich mich über konkrete Hinweise welches insektenfreundliche, mehrjährige, einheimische und blütenreiche Pflanzen sind.
    Besten Dank!

  • Timothy B. Passanah sagt:

    Netter Bericht von Herrn R. Grüter in der Gartenpost. Spannend und lehrreich wäre allerdings gewesen, wenn mind. ein paar Hinweise auf mehrjährige einheimische und insektenfreundliche Pflanzen gegeben worden wären. Vielleicht erfolgt eine Fortsetzung.
    Freundliche Grüsse ein «Neulingsgärtner»
    tbp

  • Irene Koch sagt:

    eigentlich habe ich unter dem Titel konkrete Hinweise auf Pflanzen erwartet.
    z.B. niedrig wachsende Blumen für die Balkonkistli, anstelle von Geranien, die den Insekten nichts bringen.

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